piwik no script img

Archiv-Artikel

Radarfallen, Fehlfahrten und Dänen

Pünktlich zum Countdown entlädt sich in den zu Schützengräben mutierten Straßen der im Lauf des Jahres angestaute Frust in einer Orgie der Gewalt, wie sie allenfalls zur Love Parade noch ihresgleichen findet: Silvester im Taxi

Das Geld liegt praktisch auf der Straße – du brauchst es nur aufzuheben. Jetzt musst du bloß noch die Hundescheiße ablecken und es gehört dir: das ist Taxifahren.

An Silvester ist Taxifahren dagegen ganz anders: Das Geld liegt praktisch in einem Minenfeld vergraben – du brauchst nur unter feindlichem Dauerbeschuss heranzurobben, mehrere Granaten zu entschärfen und es auszubuddeln. Jetzt musst du bloß noch die Maulwurfscheiße ablecken und es gehört dir: das ist Taxifahren an Silvester.

Doch was ist schon Silvester? Eine Miezekatze, die vergeblich versucht, ein hinterlistiges Küken mit Down-Syndrom zu fangen. Streng genommen nicht wirklich ein Grund für Unbeteiligte, solch ein sinnloses Getöse zu veranstalten, noch dazu mit relativ untauglicher Munition: „Stell dir vor, es ist Krieg und keiner geht drauf.“ Fast keiner.

Die Radiomoderatorin zählt hysterisch die letzten Sekunden des Jahres herunter. Was ist denn mit der los – darf die das erste Mal so lange aufbleiben? Bei Null fängt sie an zu kreischen, als würde sie von haarigen Affenhänden festgehalten und mit kochendem Wasser verbrüht. Sofort nach dem Countdown beginnt der Krieg: Wie im Akkord erledigen pflichtbewusste Spaßmacher verbissen ihre Krach- und Nervarbeit. Überall um mich herum knallt es. Ich steuere direkt in das Auge des Zyklons hinein – Oranienstraße. „Bumm, bumm, bumm“ macht es unter der Motorhaube, „ping, pöng, pang“ auf der Windschutzscheibe, ein Mordsspaß. In den zu Schützengräben mutierten Straßen entlädt sich der im Laufe des Jahres angestaute Frust in einer Orgie der Gewalt, wie sie allenfalls zur Love Parade noch ihresgleichen findet. „Bumm, pöng, bamm“ – ich öffne kurz das Fenster: „Platz da – ich bin ein Freund von Landesbranddirektor Brömme!“ Ein Feind! Ein Kracher fliegt herein und explodiert. Aua.

Draußen haben die Menschen einander lieb, obwohl sie versuchen, sich gegenseitig mit Sprengstoff zu töten – das ist nun mal die Ambivalenz des Bürgerkriegs und somit auch die von Silvester. Mit wem dagegen hätte ich schon feiern sollen? Ein Taxifahrer hat keine Freunde. Allein einem Kutscher dabei zuzusehen, wie er mühsam aus seinem Auto krabbelt und wie eine Lumme ruckartig zur Rufsäule taumelt, verursacht Magenkrämpfe. Taxifahrer meckern ständig und über alles. Sie sind böse, traurig und rauchen in einem fort. Wie einsame Werwölfe müssen sie die ganze Nacht arbeiten, während normale Leute Feste feiern oder schlafen. Am Tag wälzt sich der Taxifahrer dann rau heulend auf seinem Lager und stinkt. Seine Bosheit lässt ihn nie zur Ruhe kommen – nicht selten brennt auch das Bett.

„Frohes neues Jahr“, sagt der erste Fahrgast des Jahres. Ich antworte nicht – verarschen kann ich mich selber. In Mitte ist bis zum Morgen alles voll mit jungen Leuten. Mein Gott, wie jung die sind – dabei ist doch schon wieder ein Jahr vorbei! Jeder sucht ein Taxi – man kann gar nicht alle wegschaffen. „Kann man die nicht besser über das ganze Jahr verteilen?“, meckere ich böse. Auch andere Fahrgäste wünschen mir Glück. Eine Frau streichelt mich dabei von hinten wie ein Meerschweinchen. Nett gemeint, aber sinnlos – ein Taxifahrer fühlt nur den Schmerz.

Einmal muss ich anhalten, weil sich ein volles Six-Pack unter dem Bodenblech verkeilt hat. Im Bombenhagel entferne ich die Trümmer und ein paar fremde Finger. Bald wird es international: Ein Deutscher läuft mir weg, ohne zu bezahlen. Ich werde von zwanzig Afrikanern angebrüllt, weil ich nicht alle auf einmal mitnehmen kann. Ein Araber funkt um Hilfe – er wird von fünf Berserkern attackiert, denen er verboten hat, in seinem Taxi eine Rakete anzuzünden. Ein Däne kotzt hinten aus meinem fahrenden Wagen – das ist kein gutes Omen: „Der Nordmann aus dem Fenster bricht – das neue Jahr wird voll Verzicht.“ Am Ziel säubere ich von außen Tür und Fenster. Seine Begleiterin gibt mir dafür einen Euro. Danke.

Am Neujahrsmorgen schleiche ich todmüde in mein kaltes Bett und meckere mich in einen Erschöpfungsschlaf voller Albträume: Radarfallen, Fehlfahrten und Dänen. Als ich erwache, ist fast schon wieder ein Tag rum vom neuen Jahr. Den Rest sitze ich doch auf einer Arschbacke ab.

ULI HANNEMANN