: Anthrax als Sanierungshelferin
Die Seuchenstation der Charité ist seit langem renovierungsbedürftig, jetzt soll sie endlich saniert werden. Meist wird hier Unspektakuläres behandelt, einmal im Monat aber wird für den Ernstfall trainiert. Ein Besuch im Weddinger Virchow-Klinikum
VON JOHANNES GERNERT
Dass die Station 59 renoviert werden muss, steht schon länger fest. Schließlich ist sie bereits 26 Jahre alt. Es war auch immer klar, dass das Land Berlin für die Einrichtung am Virchow-Klinikum der Charité wird zahlen müssen. Nicht ganz so klar war allerdings, ob sich in einer der leeren Kassen noch Geld finden würde. Dann kamen nacheinander Anthrax-Angst, Pocken-Sorgen und die Sars-Epidemie. Jetzt kann die Renovierung der Seuchenstation an Ostern beginnen. Sie wird wahrscheinlich ein Jahr dauern. Und sie wird 11,4 Millionen Euro kosten. Wenn es nicht so zynisch wäre, könnte man in dieser Phase vor der bräunlichen Klinkerfassade des Stationsgebäudes ein Schild aufstellen mit der Aufschrift: Finanziert vom Land Berlin, ermöglicht durch Anthrax, Pocken und Sars.
Norbert Suttorp, der Leiter der Infektiologie am Virchow-Klinikum, drückt sich vorsichtiger aus. Man habe in Berlin natürlich immer großes Interesse daran gehabt, die Station zu erhalten. Schließlich ballt sich in der Hauptstadt der infektiologische Sachverstand. Nicht nur an der Charité, auch am Robert-Koch- und am Max-Planck-Institut werden Viren erforscht. Auf dem einzigen Lehrstuhl für Infektiologie in Deutschland sitzt Suttorp selbst. Trotzdem hat es eine Weile gedauert, bis die Gelder für die Stationserneuerung bewilligt wurden. „Angesichts der Verdachtsfälle von Pocken und Anthrax“, sagt Suttorp, „war die Überzeugungsarbeit schwer, aber nicht unmöglich.“
Als vor wenigen Jahren die Anthrax-Angst auch in Deutschland umging, hörte das Telefon am Virchow-Klinikum an manchen Tagen nicht auf zu klingeln. Jedes weiße Pulver schien verdächtig. Milzbrand hatte am Ende glücklicherweise niemand. Und manch einer nutzte die Aufregung für seine eigenen Zwecke. An einen Fall erinnert sich Suttorp noch genau. Da hatte sich ein Schüler wohl nicht auf eine Mathe-Arbeit vorbereitet. Statt zu schreiben, streute er Backpulver ins Klassenzimmer. An einem anderen Tag stand die komplette Belegschaft eines Möbelgeschäfts unter Anthrax-Verdacht.
Zurzeit läuft die Station 59 im Normalbetrieb. Es wird gänzlich Unspektakuläres behandelt: Lungenentzündungen, Typhus, Malaria, Salmonellen. Häufig sind es Reiserückkehrer, die hier landen. Manche haben sich vor dem Abflug nicht ordentlich impfen lassen. Für die Diagnose sind einfache Fragen entscheidend. Woher kommt der Patient? Was hat er dort gemacht? Als eine Ärztin, die im Kongo Ebola-Patienten behandelt hatte, am Bahnhof Zoo kollabierte, „da ist natürlich der ganze Apparat angelaufen“, sagt Suttorp. „Wenn jemand aber auf Sylt war, wird man den Ball eher flach halten.“
Meist hat man es im Virchow-Klinikum mit flachen Bällen zu tun. Trotzdem wird regelmäßig für den Ernstfall trainiert. Einmal im Monat muss jeder Mitarbeiter in einen der „Mondanzüge“ schlüpfen. Über einen gelben Overall wird eine durchsichtige Plastikhaube gezogen, die einem Astronautenhelm nicht ganz unähnlich sieht. An die Haube wird ein kleiner Apparat mit Schlauch angeschlossen: der Virenfilter. „Man muss einfach ein Gefühl dafür bekommen, wie das ist, damit zu arbeiten“, erklärt Thomas Klotzkowski, der Stationsleiter. Länger als drei Stunden lässt es sich im Mondanzug nicht aushalten. Es kann ziemlich warm werden in der Komplettisolierung. „Das Wasser läuft einem da nur so runter“, sagt Klotzkowski. Die Anzüge allerdings kämen ohnehin nur zum Einsatz, wenn einmal mehr als zwei hoch ansteckende Patienten eingeliefert würden. Erst dann wird nicht der Infizierte, sondern die Belegschaft isoliert. Bis zu 20 Patienten könnten so versorgt werden. Bisher wurden die Verdachtsfälle aber immer in einem der beiden Bettisolatoren behandelt, die am Ende des braun gekachelten Gangs stehen. Einmal im Jahr reisen Experten aus England an, um die Spezialbetten zu warten.
Über die Matratzen sind durchsichtige Zelte gespannt. Von den Seiten hängen mehrere Beutel wie Elefantenkondome ins Innere. Die Enden bestehen aus Handschuhen. Ohne den Patienten zu berühren, kann man ihm so zu Trinken geben, ihn waschen, das Nachthemd wechseln, ihm Infusionen verpassen. Neben dem Bettisolator steht ein anderes Zeltgestell: die Versorgungseinheit. Irgendwie muss das neue Nachthemd schließlich zum abgeschotteten Kranken kommen. Also lässt sich ein weiteres boxförmiges Plastikgebilde mit seitlichen Riesenkondomen an den Bettisolator andocken. Über ein kreisrundes Eingangsloch ist eine Tüte gespannt. Der Pfleger legt das Nachthemd in die Tüte, stülpt das Ganze ins Zeltinnere, spannt dann eine weitere Tüte übers Eingangsloch und kann zuletzt die innere Tüte abziehen. Das neue Nachthemd ist beim Patienten angelangt. Auf demselben Weg holt man auch das alte aus der Isolation.
Anschließend kommt es in den Abwurfeimer, fällt in den Keller und wird dort desinfiziert. Im Bettisolator herrscht permanent Unterdruck, sodass die Erreger, selbst wenn etwas schief ginge, nie nach außen dringen können, sondern immer nach innen gezogen werden. Die mintgrünen Kacheln im Krankenzimmer sind besonders sorgfältig verfugt, damit sie sich ordentlich reinigen lassen. Die Fenster sind aus Panzerglas. Kein Patient soll seine Isolation einfach beenden können. Das Infektionsschutzgesetz setzt das Grundrecht auf Freiheit außer Kraft.
„So richtig wichtig war die Station 1999“, erinnert sich Suttorp, der Leiter der Infektiologie. „Da lag hier der Kameramann, von dem man wirklich denken musste, dass er Ebola hat.“ Er hatte nur Gelbfieber. Aber für einige Tage wurde alles abgeriegelt. Nicht so sehr um die Außenwelt zu schützen, sondern vor allem um die Journalisten fern zu halten. Deshalb ist es wichtig, dass die Station am Rande des kleinen Klinikdorfs im Wedding liegt. Ein bisschen ist das wie früher, als man Infektionskrankheiten irgendwo draußen „auf der grünen Wiese“ behandelte.
Das ist auch einer der Gründe, mit denen Suttorp erklärt, warum er die Infektiologie für ein Stiefkind der Medizin hält. Wegen der Isolation war die Anbindung an die Forschung damals schwierig. Deshalb erhalte die Virenforschung noch heute zu wenig Aufmerksamkeit und werde nicht immer kompetent gelehrt. „Sie hat während der Ausbildung zum Arzt nicht den Stellenwert, den sie verdient“, findet der Professor. Dabei sollten eigentlich alle Ärzte wenigstens ein „dirty dozen“ an Infektionen zielsicher diagnostizieren können. Denn wenn eine Epidemie droht, kommt es darauf an, den ersten Patienten zu finden. Viele Krankheitsbilder allerdings hat man als Allgemeinmediziner vielleicht nicht immer im Kopf, weil sie eigentlich nie auftreten. „Der Doc, der als Erster Anthrax erkannt hat, der war wirklich pfiffig“, sagt Suttorp, „Das sieht man nie, und dann muss man es von null auf hundert auf die Reihe kriegen.“
Dass nun nicht nur die Angst vor dem Milzbrand-Erreger, sondern auch die Sorge, al-Qaida könnte Pocken-Viren besitzen, womöglich die Renovierung der Seuchenstation gefördert hat, ist zumindest interessant. Eigentlich wurde die Station Ende der 70er-Jahre zur Behandlung von Pockenkrankheiten gegründet. Als sie fertig gestellt war, wurden die Pocken allerdings für ausgerottet erklärt. „Ironie der Geschichte“, sagt Suttorp.
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