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Archiv-Artikel

Ocean’s Events

Die irische Stadt Cork ist nun Kulturhauptstadt Europas – die kleinste bislang. Man hat sich aber viel vorgenommen – gilt es doch, die inzwischen viertgrößte Kaufkraft der Welt kulturell zu sublimieren

VON RALF SOTSCHECK

Die Leute in Cork sind etwas verrückt, meint man in Irland. Sie sprechen in einem Singsang, sie haben eigene Wörter, wie zum Beispiel langer, was Trottel, Säufer oder Penis bedeuten kann, und sie schauen immer aufs Meer. Cork ist die zweitgrößte Stadt der Republik Irland, aber sie hat nicht mal 200.000 Einwohner. Seit 1. Januar ist sie Kulturhauptstadt Europas – die kleinste Stadt, der dieser Titel bisher verliehen wurde. „Wir sind eine kleine Stadt am Rande Europas, aber wir können viel zur Kultur Europas beitragen“, sagt John Kennedy vom Organisationskomitee Cork 2005.

Cork habe sich in der Vergangenheit immer nach Europa oder Übersee orientiert und nicht nach Dublin, sagt Kennedy. Der Ozean hat der Stadt im Süden Irlands früh zum Wohlstand verholfen. Im 17. Jahrhundert exportierte Cork riesige Mengen Rinder, Schweinefleisch und Butter nach Frankreich, Holland, Spanien und Portugal, später auch Wolle, Spitze und Glas. Der Hafen von Cork war der letzte Anlegeplatz der „Titanic“, bevor sie auf dem Weg nach New York unterging. Früher legten in Cork auch die britischen Schiffe an, zwangen Iren an Bord und brachten sie als Sklaven in die Kolonien. Cork war auch der größte Auswanderungshafen, als die Menschen Mitte des 19. Jahrhunderts vor der Hungersnot flohen.

Heutzutage ist Cork ein Einwanderungshafen. Dank des irischen Wirtschaftsbooms sind viele Auswanderer zurückgekehrt, und zum ersten Mal sind Asylbewerber aus afrikanischen und asiatischen Ländern gekommen. Diese Vielfalt will Cork im Kulturhauptstadtjahr feiern. Am 8. Januar geht es offiziell los. Mary McAleese, die irische Präsidentin, eröffnet das Kulturjahr mit einem Empfang im Rathaus, und am Abend findet am Fluss Lee die „Awakening Ceremony“ statt: ein pyrotechnisches Meisterwerk mit Licht- und Wasserspielen. Das Spektakel wird von einem Karneval begleitet, an dem 180 Künstler aus aller Welt teilnehmen.

„Das Interesse an der Kulturhauptstadt ist phänomenal“, sagt John Kennedy. Er ist Dubliner. „Solch ein Projekt habe ich noch nie geleitet.“ Dabei hat er schon viel gemacht. Er war Manager der Dubliner Band U2 und hat drei Welttourneen organisiert, er war verantwortlich für die Woodstock-Jubiläumskonzerte 1994 und 1999 in den USA. „Das war aber alles sehr überschaubar“, sagt er, „doch Cork 2005 ist eine Reise ins Ungewisse. Es ist das größte Kulturereignis, das jemals in Irland auf die Beine gestellt wurde.“

5.000 Events werden in diesem Jahr stattfinden. Neben Veranstaltungen aus den Bereichen Musik, Literatur, Theater und bildender Kunst reicht die Palette von „Oceans to the City“ mit einem Ruderrennen vom Atlantik in die Innenstadt über „The Sacred Places“ mit Veranstaltungen zur Gründungsgeschichte der Stadt bis hin zu „Iris“, einem Projekt, bei dem 10.000 identische Ringe mit Zetteln ausgeteilt werden, auf denen Aufforderungen stehen, was man tun oder sagen soll, wenn man einem anderen Ringträger begegnet.

Nicht alle sind mit dem Programm zufrieden. Eine Gruppe von Kulturschaffenden um Mick Hannigan vom Cork Film Festival hat eine alternative Organisation gegründet, sie nennt sich „Wo ist meine Kultur?“. Man will denjenigen, für die im offiziellen Programm kein Platz ist, die Möglichkeit geben, ihre eigenen Aktivitäten zu organisieren, sagt Hannigan. Einen Konflikt mit den offiziellen Veranstaltern gebe es aber nicht, höchstens etwas Frustration mit ihrem Programm. „Einer unserer Vorteile ist, dass wir kein Geld haben. Daher müssen wir umso mehr Fantasie und Energie haben.“

Cork hat dafür mehr Geld als genug. Das irische Wirtschaftswunder hat nach einem etwas flauen Jahr 2003 wieder angezogen, die Iren verfügen laut einer neuen OECD-Studie über die viertstärkste Kaufkraft der Welt. Cork hat 192 Millionen Euro für die Stadterneuerung ausgegeben. In viele Industriegebäude, die seit dem Niedergang in den Vor-Boom-Jahren leer standen, sind Kneipen, Kunstgalerien und Werkstätten eingezogen. Die Hauptstraße, St. Patrick Street, bekam neue Bürgersteige und Straßenlaternen, die vom katalanischen Architekten Beth Gali entworfen wurden.

Im Straßenbau sind die Iren ohnehin Weltmeister. Fast 1.500 Kilometer neue Autobahnen sind geplant, jedes Jahr gibt der Staat 1,2 Milliarden Euro für den Straßenbau aus – ein Vielfaches dessen, was für den öffentlichen Nahverkehr zur Verfügung steht. Kaum eine Nation hängt so sehr vom Auto ab wie die Iren. Sie fahren im Schnitt 24.000 Kilometer im Jahr, das sind 50 Prozent mehr als die Briten und 25 Prozent mehr als die US-Amerikaner. Und Cork ist neuerdings mit Dublin durch eine Autobahn verbunden, denn der Wohlstand kommt in Form von Steuergeldern inzwischen aus der Hauptstadt und nicht mehr länger vom Ozean.