: Ein Pass schützt nicht vor Ausbürgerung
Hessische Behörde hat einem 2002 eingebürgerten Kurden die deutsche Staatsbürgerschaft wieder abgenommen. Er soll Aktivitäten für eine verbotene Organisation verschwiegen haben. Beileibe kein Einzelfall, wie Ausländerrechtler berichten
VON HEIDE PLATENUND LUKAS WALLRAFF
Auch ein deutscher Personalausweis schützt nicht unbedingt vor der Ausbürgerung. Das Regierungspräsidium im hessischen Gießen gab gestern bekannt, dass es einem Kurden die deutsche Staatsangehörigkeit wieder entzog, die er 2002 erhalten hatte. Die Behörde verlangt die Einbürgerungsurkunde zurück, weil der Mann sie sich mit falschen Angaben „erschlichen“ habe. Er soll seine Mitgliedschaft in einer Nachfolgeorganisation der in Deutschland verbotenen Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) verschwiegen haben. Nun muss er seinen Ausweis zurückgeben.
Wer ins Grundgesetz schaut, könnte über den Fall zunächst verwundert sein, heißt es doch in Artikel 16: „Die deutsche Staatsangehörigkeit darf nicht entzogen werden.“ Es gibt jedoch eine wichtige Einschränkung, die im Fall des hessischen Kurden angewandt wurde. „Der Verlust der Staatsangehörigkeit“, heißt es im Grundgesetz, dürfe „gegen den Willen des Betroffenen nur dann eintreten, wenn der Betroffene dadurch nicht staatenlos wird“. Dies aber ist bei dem Deutschkurden nicht der Fall. Seine türkische Staatsbürgerschaft hatte er auch nach seiner Einbürgerung in Deutschland behalten dürfen. Jetzt sei er wieder „nur noch Türke“, sagte ein Sprecher des Regierungspräsidiums gestern, und müsse seine Aufenthaltserlaubnis bei der Ausländerbehörde neu beantragen.
Der Kurde ist kein Einzelfall. Der Frankfurter Ausländerrechtler Reinhard Marx berichtete gestern, allein in Hessen habe es im vergangenen Jahr „mindestens fünf Fälle“ gegeben, bei denen die Rücknahme von Einbürgerungen verfügt worden sei. Der Vorwurf habe jeweils gelautet, die Neubürger hätten ihre Zugehörigkeit zu Organisationen mit verfassungsfeindlichen Bestrebungen verschwiegen. Ihre Einbürgerung sei deshalb unwirksam. Anwalt Marx zieht das Vorgehen der Behörden jedoch in Zweifel und versucht derzeit gegen die Ausbürgerungen vorzugehen. Die Betroffenen, die lokalen Milli-Görüs-Gruppen angehören sollen, seien, so Marx, vor ihrer Einbürgerung nicht über ihre Meldepflichten informiert worden. Die Verfahren laufen noch.
„Doppelpass“-Besitzer wie der hessische Kurde haben schlechte Karten. Aber auch wer nach seiner Einbürgerung vorerst nur noch Deutscher ist, kann sich nicht in Sicherheit wiegen. Über die Auslegung der Schutzbestimmungen des Grundgesetzes gab es in der Vergangenheit verschiedene Gerichtsurteile. Während das Berliner Verwaltungsgericht vor zwei Jahren entschied, eine Einbürgerung könne nicht rückgängig gemacht werden, urteilte das hessische Oberverwaltungsgericht schon 1996, die grundgesetzlich garantierte Unentziehbarkeit der Staatsbürgerschaft sei „bei einer erschlichenen Einbürgerung wegen der fehlenden Schutzwürdigkeit des Eingebürgerten ausgeschlossen“. Im Bezug auf „Scheinehen“ befand das Bundesverwaltungsgericht Ende 2003: „Eine erschlichene Einbürgerung, die durch eine vorsätzliche Täuschung der Einbürgerungsbehörde erreicht wurde, darf keinen Bestand haben.“
Im Fall des Kurden hieß es nun zur Begründung der Ausbürgerung, er sei Mitglied im Deutsch-Kurdischen Kulturverein in Gießen, der eine getarnte PKK-Nachfolgeorganisation sei. Dies habe er bei seiner Loyalitätserklärung zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung verschwiegen und seine Aktivitäten auch danach nicht eingestellt.
Der verheiratete Vater von fünf Kindern war 1993 in die Bundesrepublik eingereist und hatte einen Asylantrag gestellt. Der war zunächst abgelehnt, dann aber gerade wegen seiner in der Türkei verbotenen Aktivitäten für die PKK anerkannt worden. 2000 beantragte er die Einbürgerung und erhielt sie im Juni 2002 für sich, seine Frau und eines seiner Kinder. Kaum zwei Monate später informierte der hessische Verfassungsschutz das Regierungspräsidium darüber, dass „Erkenntnisse“ über den Neubürger vorlägen. Das Amt stufte den Deutsch-Kurdischen Freundschaftsverein in Gießen als PKK-nah und verfassungsfeindlich ein. Dort habe der Mann als Kassenprüfer fungiert. Auch habe er an Demos, unter anderem zur Freilassung des in der Türkei inhaftierten PKK-Führers Öcalan, teilgenommen. Das Regierungspräsidium ordnete daraufhin nach Absprache mit dem Innenministerium 2003 die Rückgabe der Einbürgerungsurkunde an und erhob dafür eine Gebühr von 255 Euro. Der Kurde klagte beim Verwaltungsgericht und erklärte, er sei nur passives Mitglied, habe von der PKK-Unterstützung nichts gewusst und habe aus geschäftlichen Gründen ohnehin seit Jahren keine Zeit mehr für den Verein. Das Gericht lehnte seinen Widerspruch im Mai 2004 ab.
Die Verwaltungsrichter entschieden, die „Unterstützung“ einer verfassungsfeindlichen Organisation reiche aus: „Exponierte Aktivitäten oder Nachweise sind nicht erforderlich.“ Außerdem sei es lebensfremd, dass der Mann behaupte, er habe nicht gewusst, was der Verein tue. Eine seiner Töchter habe noch im Herbst 2002 eine Veranstaltung angemeldet. Dies belege „eine starke innere Verbundenheit des Klägers und seiner gesamten Familie zur PKK“.