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Archiv-Artikel

Paradise lost

Die Flutwelle hat auch viele Ideale der Backpacker mit sich gerissen. Sie suchen sich nun andere Strände an der thailändischen Ostküste. Nur die wenigsten unter ihnen kritisieren das als „Kadaver-Tourismus“

„Lasst euch nicht von irgendwelchen Moralaposteln den Urlaub verderben“

So richtig scheint die Nachricht von der Flutkatastrophe im Indischen Ozean auch nach vier Tagen noch nicht zu allen Rucksackreisenden durchgedrungen zu sein. In der Backpacker-Herberge „Circus“ in Berlin studiert ein Mädchen aus den USA den englischen Guardian und will „noch nichts sagen, weil ich mich gerade zum ersten Mal informiere.“ Auch Jared Goldman weiß noch nicht genau, was er von der Flut halten soll. Der 30-jährige US-Amerikaner war schon einmal in Thailand. Jetzt steht er an der Bar des „Circus“-Hostel und fragt teilnahmsvoll: „Ist es sehr schlimm da unten?“

Die Unwissenheit mag mit der bevorzugten Reiseart der Rucksacktouristen zu tun haben, die einen heute dahin und morgen dorthin führt. Oft verstehen die Traveller die lokalen Medien nicht oder haben selten Gelegenheit, sich zu informieren. Dabei ist es doch das Ideal des „aufgeklärten Reisens“, das sich diese Gemeinschaft auf die Fahnen geschrieben hat.

Zumindest Chris Howk, ein weit gereister Endzwanziger mit Vollbart, glaubt noch daran. Der US-Amerikaner hat die vergangenen Monate in Syrien verbracht und besucht jetzt Berlin. „Backpacker, zumindest die älteren, sind kulturell sensibler. Wenn man jetzt nach Thailand fährt, dann, um zu helfen. Alles andere wäre Kadavertourismus“, sagt er und setzt dazu einen entrüsteten Blick auf.

„Veraltete Klischees“ nennt solche Aussagen Abby Marten aus Amerika. Die 19-Jährige will im Kreise einiger Rucksacktouristen in der Lobby des „Circus“ ihren echten Namen nicht nennen. Seit fünf Monaten ist sie in Europa unterwegs, wollte die Kultur Deutschlands kennen lernen und die Menschen. Daraus wurde nichts. „Ich habe bisher mit genau einem Einheimischen geredet. Die Backpacker machen doch, was alle Touristen machen, nur für möglichst wenig Geld.“

Junge Reisende in einschlägigen Internetforen treibt unterdessen vor allem die Frage um, wo Thailand oder Sri Lanka noch bereisbar ist. Im Internetforum des Individualreiseführers Stefan Loose will „Neufahrwasser“ wissen, welche Strände auf Phuket noch heil geblieben sind. Kritische Antworten bleiben rar. Ein „Jacob“ findet es „geschmacklos, jetzt an Urlaub in solchen Regionen zu denken“. „Neufahrwasser“ kontert: „Lasst euch nicht von irgendwelchen Moralaposteln den Urlaub verderben.“ Und „Jack“ assistiert: „Die Thais fürchten genau das: dass die Leute wegbleiben.“

Die Sorge scheint unbegründet. In Scharen strömen die Backpacker in Thailand nun auf die Inseln an der sicheren Ostküste. Auf Koh Pha Nghan, einer bei Travellern beliebten Insel nahe Koh Samui, ist kaum mehr eine Bastmatte frei. „Wir sind total ausgebucht, es kommen sogar Camper her und schlafen auf dem Boden“, erzählt die Thailänderin Yupa, die auf der Insel ein Backpacker-Hostel betreibt. Endzeitstimmung bei den Travellern? Fehlanzeige. „Die Stimmung ist weitgehend normal. Natürlich berührt das die Leute, aber nicht so sehr, dass sie traurig sind“, sagt sie.

Freilich gibt es in der Community auch viel Solidarität. Auf der Webpage der Khao San Road, der turbulenten Traveller-Straße im Herzen von Bangkok, bieten zahllose Rucksacktouristen Hilfe bei der Suche nach Opfern an. Eine gute Idee, findet Tony Nairn, schon aus spirituellen Gründen: „Die Backpacker sollten hinfahren und herausfinden, was passiert ist, um es mit eigenen Augen zu sehen und zu erkennen, wie wertvoll das Leben ist“, sagt er und nippt an seinem Bier.

Der 33-jährige Traveller aus Neuseeland war bis vor zwei Monaten noch selbst in Thailand, macht jetzt Station in Berlin. Er glaubt jedoch, dass für junge Backpacker, die noch nie vor Ort waren, Thailand jetzt von der Liste gestrichen sei: „Wer will schon an einem Strand mit Leichen liegen?“ JOHANNES HONSELL