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Archiv-Artikel

Die Gage zahlen die Zuschauer

Die Verlagerung des Risikos auf die Schauspieler soll das private Kölner Theater im Bauturm aus der finanziellen Krise retten. Das könnte auch städtischen Bühnen helfen, glaubt Prinzipal Gerhardt Haag

Von JÜRGEN SCHÖN

Im Mai 2004 stand das Theater im Bauturm (TiB) noch kurz vor dem Aus. „Schulden in sechsstelliger Euro-Höhe“, so TiB-Geschäftsführerin Miriam Kloss, drückten das kleine freie Kölner Traditionshaus. Doch die damaligen Hilferufe hatten Erfolg. Gläubiger verzichteten auf Teile ihrer Forderungen, Benefizaktionen brachten Geld. Die Stadt gab 15.000 Euro Investitionszuschuss für eine neue Klimaanlage. „Wir konnten die Schulden halbieren“, verkündete TiB-Prinzipal Gerhardt Haag froh, als er am Dienstag über die Lage und die nächsten Premieren berichtete. Weitere Ersparnisse erhofft er sich von der „Risikobeteiligung“ der Schauspieler.

Keine Festgagen mehr

Seit Anfang der Spielzeit läuft dieser auf drei Jahre befristete Modellversuch. Jede Produktion wird an eine „Gesellschaft bürgerlichen Rechts“ (GbR) vergeben, zu der sich die jeweiligen Schauspieler zusammenschließen. Das Theater zahlt einen Fixpreis, die Einnahmen werden nach einem vorher festgelegten Schlüssel zwischen Theater und GbR aufgeteilt.

„Das ist eine eindeutige Verschiebung des finanziellen Risikos auf die Schultern der Schauspieler“, gibt Haag zu. Für das Theater, das keine Festgagen mehr unabhängig vom Besucheraufkommen zahlen muss, sei das nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine Arbeitsentlastung. So hätten sich die GbRs schon erfolgreich selber um staatliche Projektzuschüsse gekümmert. Von „Outsourcing“ wie in der Wirtschaft will Haag aber nicht sprechen. Schließlich seien die Schauspieler auch weiter an der Programmplanung beteiligt. Deshalb sei sein Haus auch keine „Abspielstätte für zusammengekaufte Gastspiele“.

Als „Modell der Zukunft“ ist für Haag dieser Weg auch für Stadttheater denkbar. „Die ersticken in Verbeamtung, Hierarchie und fehlendem Mut zur Gesellschaftskritik“, unterstützt ihn Renan Demirkan. Die Schauspielerin wird bis Ende Februar mit Haag acht Mal „Love Letters“ von A.R. Gurney spielen (Premiere am 6. Januar) und dabei auf ihre Gage verzichten.

Auch für Schauspieler Roland Silbernagl von der „GbR Blick zurück im Zorn“ – das gleichnamige Osborne-Stück hat am 15. Januar Premiere – ist die Trennung von Haus und Ensemble ein Weg, sich aus den Zwängen des Festangestelltseins zu befreien. Seine „Goltz + Silber“-Produktion wird vom Land bezuschusst: als Modellprojekt für die Zusammenarbeit einer freien Gruppe mit einem Stadttheater. Neben dem Kölner TiB ist das Schlosstheater Moers Silbernagls Partner.

„GBR Nora“ lohnt sich

Zur „Genesung“ der Theaterkasse hat auch Ibsens „Nora“ beigetragen. Das Stück, im Dezember mit dem Kölner Theaterpreis ausgezeichnet, hat eine Zuschauerquote von 92 Prozent. Die durchschnittliche Auslastung des Hauses ist damit auf fast 60 Prozent gestiegen, in der vorigen Spielzeit war noch gut jeder zweite Platz unbesetzt. Auch für die „GbR Nora“ lohnt sich der Erfolg. „Die Schauspieler verdienen mehr als im Falle einer Festgage“, verriet Haag.

Mit „Blick zurück im Zorn“ und „4.8 Psychose“ von Sarah Kane (Premiere am 25. Januar) sollen die Zuschauerzahlen weiter in die Höhe getrieben werden. Die Inszenierungen werden sich durch den Einsatz lauter Punkmusik auszeichnen. Zielgruppe ist ein eher junges Publikum, das „anderen Theaterformen“ aufgeschlossen ist und im Theater an der Aachener Straße „bislang eher unterrepräsentiert ist“, so Haag. Auch ein einmaliges Gastspiel aus Aachen soll dazu beitragen: Anton Schieffer zeigt eine moderne Interpretation des „Kohlhaas“ mit „Sound und Video“ (20. Januar).

Sollte der Spagat gelingen, neues Publikum anzuziehen, ohne das Stammpublikum zu verschrecken, ist das Theater im Bauturm aber noch lange nicht aus dem Schneider. Von der Arbeitsagentur gibt es keine Zuschüsse mehr für „gemeinnützige“ Jobs, und das Land hat für 2005 eine 15-prozentige Kürzung seiner langjährigen Konzeptionsförderung in Höhe von bislang 40.000 Euro angekündigt.

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