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Archiv-Artikel

Szeneheld in Skijacke

Extrem seit 20 Jahren: Geert-Jan Hobjin, der Chef des Labels Staalplaat, hat wieder einen Laden in Berlin aufgemacht. Dennoch ist er müde geworden

VON ANDREAS HARTMANN

Seinen eigenen Atem kann man in diesem milden Winter noch nicht sehen, aber wahrscheinlich kommt das bald. Eine Heizung gibt es hier in dem vor kurzem neu eröffneten Staalplaat-Store in der Torstraße nicht, deswegen habe er, sagt Staalplaat-Chef Geert-Jan Hobijn, letzten Monat auch keine Miete bezahlt.

Der Staalplaat-Store ist ein Plattenladen. Davon gibt es in Berlin genug, könnte man meinen. Doch wir reden hier von keinem normalen Plattenladen. Erhältlich ist hier ausschließlich Musik, die man in dieser Stadt nur schwer findet, experimentelle bis unhörbare Musik. Avantgarde, Noise und, so nennt das Hobijn: Klangkunst. Künstler dieses Genres nehmen beispielsweise die Geräusche fahrender U-Bahnen oder von Nadeldruckern auf und erklären dies zu Musik. Musik, die Hobijn gefällt und die er auch auf seinem Staalplaat-Label veröffentlicht.

Ein wenig fühlt man sich in dem neuen Laden an die Anfangstage von Staalplaat in Berlin erinnert. Vor gut acht Jahren eröffnete Staalplaat, dessen Hauptsitz damals noch in Amsterdam war, eine kleine Ladengalerie im Prater, auch ohne Heizung. Bald zog man in das Haus Schwarzenberg um, eröffnete dort die so genannte Staalplaat-Galerie. Doch kaum war Hobijn warm geworden in Berlin, ging auch schon wieder alles zu Ende. Hobijn verstritt sich mit seinem Kollegen, machte den Laden dicht und zog wieder zurück nach Amsterdam. Doch auch hier ging einiges schief. Amsterdam erschien Hobijn nicht mehr lebendig genug. Also Schluss mit Amsterdam, ein Neuanfang musste her. Alles wieder auf Start, und das, nachdem es Staalplaat bereits seit 1982 gibt.

Allerdings wirkt Hobijn an diesem grauen Wintertag alles andere als motiviert. „Ich frage mich, ob ich Staalplaat noch halten will“, sagt er. Der Laden sei eine Notlösung, sagt er, schließlich mussten die Tonnen von Platten und CDs aus Amsterdam irgendwo untergebracht werden. Man merkt Hobijn an, dass er seine Berufung nicht mehr darin sieht, den Leuten seltsame Musik zu verkaufen. Dafür macht er das alles schon viel zu lang. Staalplaat wurde legendär, andere erfolgreich. Hobijn kann sich rühmen, Szenehelden wie The Hafler Trio und Jim O’Rourke entdeckt zu haben, andere haben sie berühmt gemacht. Szenehelden wollen eben auch mal Geld verdienen. „Ich arbeite nicht für Geld, ich arbeite, weil es mir Spaß macht“, sagt Hobijn und verdrückt sich eine Weile ins Café nebenan. Nicht einmal ein „Gleich zurück“- Schild hängt er dann an die in die Ladentür.

Den Namen Staalplaat assoziieren viele immer noch vor allem mit den Achtzigern. Damals hat Hobijn als Teil der Amsterdamer Hausbesetzerszene damit begonnen, Konzerte zu organisieren und die ersten Tapes zu veröffentlichen, etwa von der martialischen Industrialband Laibach. Bald wurde aus Staalplaat ein regelrechter Labelverbund, Sublabels wie Barooni und Korn Plastics gehörten mit dazu – zeitweise veröffentlichte man drei CDs im Monat, alle in einer Auflage zwischen 200 und 2.000 Stück. Besonderes Kennzeichen der Platten wurden ihre Verpackungen, viele davon hat sich Hobijn selbst ausgedacht. Statt in Plastikschachteln stecken viele Staalplaat-CDs in Leder oder Schmirgelpapier, wer sich also Staalplaat-CDs brennt, bekommt nur die Hälfte mit. „Ich kannte mal eine Grafikdesignerin, die für Prince arbeitete, und sie war neidisch“, meint Hobijn und nimmt einen alten Kürbis in die Hand, der auf der Fensterbank lag. „Weil sie sich nach anderen richten musste, während ich einen Kürbis aushöhlen und meine CDs hineinstecken konnte.“

So frei sich Hobijn als Hausdesigner fühlt, so eng scheint der Blick anderer auf sein Label zu sein. Staalplaat kommt aus der Industrialszene, und diese Roots sind Hobijn inzwischen lästig. „Die meisten der an uns geschickten Demos drehen sich immer noch um eine Achtziger-Ästhetik aus Schädeln und Blut, dabei möchte ich damit nichts mehr zu tun haben“, sagt er. Wenn man sich ihn so anschaut, glaubt man ihm das auch. Der Mann trägt eine John-Lennon-Brille und eine Skijacke. Einen Impresario extremer Musik stellt man sich anders vor.

Geert-Jan Hobijn hat die Szene hinter sich gelassen. Wenn heute eine Performance-Künstlerin Käse aus ihrer Muttermilch produziert, interessiert ihn das weniger als ein Programmierer, der neue Musiksoftware entwickelt. Auch mit seiner eigenen Kunst, von der er jetzt lebt, will er nicht schockieren, sondern höchstens überraschen. Als Teil des „Staalplaat-Soundsystems“ wird er von Festival zu Festival gereicht. Zuletzt war er in Ljubljana, wo er in einem Krankenhaus eine Form von Klangtherapie präsentierte – Betten, die durch spezielle Sounds behandeln. Auch in den nächsten Monaten wird er mit seinem Soundsystem viel unterwegs sein. Doch nun wartet erst einmal andere Arbeit auf ihn. In seinem Laden stapelt sich die neue CD von Tim Hecker. Muss sich nur noch jemand finden, der sie kauft.