: „Ein Gegenüber zur bürgerlichen Moral“
HOMOSEXUALITÄT Reinhard Dircks, schwuler Pastor der Hauptkirche St. Petri, Hamburg: Die Kirche hat gelernt – doch das stört einige
■ 47, Pastor an der Hamburger Hauptkirche St. Petri, leitet das dortige Beratungs- und Seelsorgezentrum, gegründet vor 40 Jahren, seit 2009. Anfang der Siebzigerjahre war es vonseiten der Hauptkirche St. Petri ein noch heute großenteils ehrenamtlich getragenes Modellprojekt – auch im Hinblick auf eine bessere Beratung Homosexueller. Bei seiner Amtseinführung, so Dircks, war eines der schönsten Details, dass ein schwuler Pastor „nicht mehr als Problem“, sondern „als normal“ behandelt wurde. JAF Foto: Archiv
INTERVIEW JAN FEDDERSEN
taz: Herr Dircks, noch Anfang der Achtzigerjahre wurde in der hannoverschen Landeskirche ein Theologe wie Klaus Brinker faktisch mit Berufsverbot belegt – seines Schwulseins wegen. Wie fern sind Ihnen heutzutage diese Zeiten?
Reinhard Dircks: Sie sind insofern mir noch sehr nah, als sie mich geprägt haben. Und sie sind mir sehr fern, weil sie heute keine Rolle mehr spielen.
Warum?
Weil ich in meiner Gemeinde selbstverständlich auch als schwuler Mann gewählt wurde. Ich konnte die Bedingungen setzen. In den verschiedenen Gremien, in denen über mich und meine Arbeit diskutiert wurde, habe ich sagt: Wenn ihr mich nicht als schwulen Mann akzeptiert, dann halte ich meine Bewerbung nicht aufrecht. Ich habe es heute nicht mehr nötig, mich jeder Dummheit zu stellen.
Wie hat man darauf reagiert?
Dass das kein Problem mehr sein könne, war die Antwort. Es hieß nicht, dass es kein Problem ist, aber man hoffte, dass es so sei. In der Gemeinde von St. Petri gab es ja vor drei Jahren zu diesem Thema eine heftige Auseinandersetzung, als sich in St. Petri zwei schwule Männer segnen lassen wollten. Der Kirchenvorstand diskutierte darauf innig – und man muss sehen, dass meine Gemeinde hier in der Hamburger Innenstadt jene Kirche war, die am längsten brauchte, um mit diesem Thema zurechtzukommen.
Auf Kirchentagen war das Thema Homosexualität schon lange da.
Es wird seit 1977 diskutiert. Die Gruppe Homosexuelle und Kirche ist dort wie bei anderen kirchlichen Gelegenheiten präsent. Das soll man nicht unterschätzen. Keine Kirche, keine Institution überhaupt hat sich so des Themas Lebensformen angenommen wie die nordelbische Kirche. Von Konfirmanden bis zu den Seniorengemeinschaften ist das Thema Homosexualität intensiv besprochen worden.
Wie denn genau?
Dass zum Beispiel der Unterschied zwischen christlichen Werten und bürgerlicher Moral verhandelt werden konnte.
Worin liegt denn der Unterschied? War es nicht früher so, dass beides identisch war?
Moral meint doch die Sitten, die aktuell gelten. Das eben, was üblich ist, was man tut und was nicht. In den Fünfziger- und Sechzigerjahren war das Christliche fast das Allgemeine. Aber mit dem Jahr 1968, als theologisch viel schärfer geguckt wurde, wurden Differenzen spür- und sichtbar. Die Bibel wurde anders gelesen, wenn man so will, würde ich sagen, radikaler, christlicher eben. Es stellte sich heraus, dass die Bibel auch ein Gegenüber zur bürgerlichen Moral sein kann.
Jene, die einst für ein schroffes Klima in der Kirche gegen Homosexuelle standen, sind ja nicht weg. Der frühere sozialdemokratische Spitzenpolitiker Hans Apel ist sogar aus der Kirche ausgetreten, weil er sie homofreundlich nicht ertragen wollte.
Ich möchte es so formulieren: Wenn ich als schwuler Mann in der Kirche selbstbewusst auftrete, schweigen im direkten Kontakt Menschen wie Hans Apel oder andere, die einfach ausgetreten sind. Mich nicht kränken zu wollen, wird auch eine Rolle spielen. Meine Frage zu diesen Austritten geht in eine andere Richtung: Was kritisieren sie wirklich? Das gewandelte Wertesystem? Dass sie also Homosexualität nicht als Singuläres sehen, sondern als Symptom einer anderen Kirche. Sie vermuten dahinter eine Anbiederung an den Zeitgeist.
Was würden Sie denen antworten?
Ich würde mit ihnen das, was sie unter Zeitgeist verstehen, differenzieren. Was beklagen sie wirklich? Anbiederung? Und wenn sie wirklich Homosexualität ablehnen: Was ist ihnen daran sündhaft, das exklusiv Sündhafte? Gern würde ich mich mit ihnen über die Unterscheidung unterhalten zwischen christlicher Ethik und überkommener Moral – das wäre mir wichtig. Und ich würde ihnen vermitteln, dass sie durchaus ernst zu nehmen sind, sofern sie nicht einfach pauschal entwerten.
Christliche Ethik wird immer noch in dem Credo „Seid fruchtbar und mehret euch“ aufgespürt. Ist das nicht exklusiv heterosexuell zu lesen?
Lange Zeit taten sich auch die protestantischen Kirchen in Deutschland mit dem Thema Homosexualität schwer. Die Gruppe Homosexuelle und Kirche (HuK) trat erstmals auf dem Kirchentag 1977 in Westberlin öffentlich stärker in Erscheinung. Heftigen Streit um das Thema gab es zuletzt 1979 auf dem Kirchentag in Nürnberg. Eine Symbolfigur in der Homosexuellenbewegung war Klaus Brinker. Er war Anfang der Achtzigerjahre ein Pastor in der niedersächsischen Landeskirche, der sein Schwulsein nicht verhehlte – und deshalb von seinen Vorgesetzten, als es um eine Pfarrstelle ging, mit Berufsverbot belegt wurde. Heute ist Homosexualität in den Landeskirchen kein Anlass mehr, eineN BewerberIn nicht einzustellen oder zu empfehlen, sie nicht mit einem PastorInnenamt zu betrauen. Die meisten Landeskirchen haben Regelungen, dass es letztlich Sache der Gemeinden ist, ob sie eineN schwulen oder lesbische PastorIn anzunehmen bereit sind. Nur versteckte Homophobien sind immer wieder notiert worden, Berufsverbote aber nie. JAF
Ja, das ist das eine, das andere das Doppelgebot der Liebe. Das ist der Maßstab, nicht das „Seid fruchtbar und mehret euch“.
Was verstehen Sie unter dem Doppelgebot der Liebe?
„Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele, mit all deinem Verstand und mit all deiner Kraft, und du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.“ „Seid fruchtbar und mehret euch“ ist eine anthropologische Aussage über die Selbstwirksamkeit des Menschen schlechthin. Diesen Spruch viel zu oberflächlich genommen hieße, dass man fraglos akzeptiert, dass Menschen sich wie die Karnickel vermehren sollen. Er meint aber im Gegenteil die Verantwortlichkeit für das Leben, theologisch gesagt eine Verantwortlichkeit für die Schöpfung, und wahrzunehmen, wie es für Menschen ist, Schöpfung und Leben zu fördern. Also selbst wirksam zu sein, nicht nur Leben zu empfangen, sondern auch zu gestalten.
Bedeutet dies nicht, dass dieser Logik nach nur Menschen, die sich fortpflanzen, gute Kinder Gottes sind?
Nein, das ist eine Engführung, die überhaupt nicht zu der ganzen Gattung der Schöpfungsgeschichte passen würde.