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Archiv-Artikel

Das Wetter als Happening

KLIMAWANDEL „Woher der Wind weht“ fragte das HAU und lud Philosophen und Künstler zur Diskussion neuer Klimaszenarien ein

„You don’t need a weather man to know which way the wind blows“ – davon, keinen Wetterbericht lesen zu müssen, um zu wissen, welcher Wind einem ins Gesicht weht, hat der junge Bob Dylan in seinem „Subterranean Homesick Blues“ gesungen. Und dabei wohl selbst kaum geahnt, wie schnell dieser protestpopkulturellen Leitmetapher ihre metaphorische Dimension abhandenkommen sollte. Denn am Ausgang all der sozialen Kämpfe der 1968er-Jahre waren aus den ökonomischen Kampfzonen plötzlich ökologische geworden. Wo eben noch Kaufhäuser brannten, wurden nun Bioläden eröffnet und Kartoffeln gepflanzt. Alles gut fürs Klima, für die zwischenmenschliche wie die große ganze Atmosphäre.

Um diese Atmosphäre stand es ja schlecht in den Jahrzehnten des sauren Regens. Und mehr noch in der Erwartung einer Erderwärmung und der Gegenwart der persönlichen CO2-Bilanz. Kurz gesagt: Das Wetter geht uns alle an, weil wir eben auch alle das Wetter sind.

Deshalb stand im oberen Foyer des HAU 1, das zwei Tage lang zu Szenarien des Klimawandels eingeladen hatte, auch ein grob gezimmerter „Klimaretter-Beichtstuhl“, dem der Besucher wohl seine Ökosünden anvertrauen sollte. „Wir Klimaretter“ heißt das dazugehörige Projekt der beiden Umweltjournalisten Nick Reimer und Toralf Staud, zwei alltagsökologische Aufklärer und doch auch irgendwie säkularisierte Ablasshändler. Denn sie machen es dem fahrradfahrenden, fernreisenskeptischen Ich auch mal einfach, sich ein bisschen als Klimaretter zu fühlen.

War „Woher der Wind weht – Szenarien des Klimawandels“ am Ende also das: eine schick und pfiffig aufgemachte und vom Bundesumweltministerium kofinanzierte Gewissensmaniküre? Dafür allerdings kam das Performancefestival zu klug, zu komplex und in manchen Spitzen auch zu widerborstig daher. Gleich zu Beginn entfachte Thomas Macho, Professor am Kulturwissenschaftlichen Institut der HU und ein virtuoser Archäologe vergangener Utopien und Katastrophenszenarien, einen wahren Sturm der Atmosphären und Allegorien. Seine These: Klima ist Kultur, und umgekehrt ist Kultur immer Klima. Beide bedienen sich derselben Begriffe, reden von atmosphärischen Störungen und vom Kalten Krieg. Der erste totale Krieg etwa, die Giftgasangriffe über den Schützengräben des Ersten Weltkriegs, war kein direkter Angriff mehr auf die Soldatenkörper, sondern eine Manipulation des diese umgebenden Klimas. Martin Heidegger und Jean-Paul Sartre, beide große Kulturtheoretiker des 20. Jahrhunderts, waren in diesem Ersten Weltkrieg ausgerechnet als Wetterbeobachter eingesetzt.

Heute seien wir spätmodernen Mediengesellschafter vor allem ein „Klimapublikum“, wie es Thomas Macho mit Peter Sloterdijk sagt. Das Wetter wird – nicht erst mit einem Festival wie diesem – zu einem Medien- und Kulturevent. Und das Klima selbst zu einer ästhetischen Inszenierung, die sich mal der Mittel der Talkshow, mal jener des Katastrophenfilms bedient. Das allerdings, so der Kulturwissenschaftler, sei gar nicht schlimm, sondern im Gegenteil notwendig: „Die hochkomplexen Mess- und Simulationstechniken moderner Geowissenschaften sind kryptisches Expertenwissen. Erst die Metaphern machen den Klimawandel begreifbar.“

Begriffen haben ihn dennoch nicht viele. So berichtete der niederländische Philosoph Martin Drenthen von kuriosen Wahrnehmungsverschiebungen. In seiner permanent von Überflutungen bedrohten Heimat wird das jahrhundertealte Konzept des Deichbaus sukzessive von der Idee renaturalisierter Flusslandschaften mit weiten Auslaufflächen abgelöst. Sturm dagegen laufen Heimatschützer und Traditionalisten: Gerade die künstliche Welt der Deiche, Gefühlskulisse der holländischen Malerei, wird von Ihnen nun als natürliche Landschaft markiert. Wo fängt – hat der Mensch die Finger im Spiel – Natur an und wo hört Kultur auf?

Die ebenfalls niederländische Theatergruppe Space übersteigert diese Frage in ihrer mit den Mitteln des Dokumentarischen ausgestatteten Intervention „Holland Tsunami“: Vor der großen Flut flüchtend, findet ganz Holland in Ungarn Asyl. Während das Wiener Kollektiv Monochrom dem effektheischenden Aktionismus etwa eines Kioto-Protokolls ihr „Climate Training Camp“ gegenüberstellt. In zwei mit Ventilatoren und Klimaanlagen bestückten Zelten – Sandsturm hier, Schneesturm dort – kann sich der Besucher mal so richtig durchwirbeln lassen. Da ist sie wieder, die These des Kulturanalytikers, der Klimawandel als Happening.

CLEMENS NIEDENTHAL