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Archiv-Artikel

Wärest du geschwommen, Ophelia

Einen fast wehmütigen Rückblick auf die hohen Zeiten der Dekonstruktion bietet die Schau „selbst, inszeniert“ in der Galerie der Gegenwart

von Petra Schellen

Aber sie wollen ja nur spielen! Wollen gern zitieren und ein bisschen im Fundus dessen wühlen, was ihre Künstlervorgänger zum Thema „Selbstinszenierung“ gesagt haben. Denn gänzlich neu sind die Positionen nicht, die die Schau „selbst, inszeniert“ derzeit in der Kunsthalle präsentiert. Aber das schadet nicht, denn doppelbödig ist die Ausstellung ohnehin, sagt sie durch ihre Konzeption doch mindestens so viel über ihre Kuratoren wie über das eigentliche Thema.

Das liegt schon in der Natur der Sache: Wie anders als historisch soll man sich einem seit den 60ern virulenten Thema nähern – und das nicht zufällig in Zeiten des 60er- und 70er-Revivals; einen fast wehmütigen Rückblick auf vergangenes Protestpotenzial bietet diese Schau, die mit Beuys als inszeniertem Kämpfer auf dem Plakat La rivoluzione siamo Noi beginnt. Als Revolutionär hat er sich – gleich am Treppenaufgang und nicht weit von Gavin Turks Wachsfiguren-Che – inszeniert. Als einer, der uns allen vorausgeht in Denken und Diskurs und auf dessen Kämpfertum man sich verlassen kann, schreitet er daher. Aber kann man das, konnte man es je, oder ist auch dies nur Mythos, hat sich der Künstler auch als Avantgardist bloß inszeniert? Und der Rückgriff auf Guevara in Zeiten des Che-Revivals: Ist er wirklich zufällig – oder offenbaren Exponate wie dieses den Wunsch des jungen Kuratoren, verflossenen Heroen in Zeiten schwindenden politischen Bewusstseins ehrfürchtig-schuldbewusst Tribut zu zollen?

Anhand der von Jürgen Klauke und Urs Lüthi androgyn durchdeklinierten Gender-Fragen sowie der Schmink-Performance von Eleanor Antin sucht die Schau nachzuzeichnen, wie Künstler Inszenierungen ausprobierten, wie sie die Dekonstruktion begannen und erstmals die Existenz einer kompakten Persönlichkeit leugneten.

Stundenlang an den Haaren festgeknotet, haben zum Beispiel Marina Abramovic und Ulay die Balance der Geschlechter gesucht, auch ihr 20-minütiges wechselseitiges Ohrfeigen, per Video festgehalten. Wie einander aushalten, wie umgehen mit Aggression und Abhängigkeit, fragen sie – ein Thema, das zwar längst nicht ausdiskutiert ist, aber auch weiterführende Fragen aufwirft: Wie soll man sich selbst aushalten samt den sich stetig wiederholenden Rollen, die zu spielen einen die Gesellschaft zwingt?

Bewusst spielen all diese Künstler mit Verkleidungen – wie übrigens auch Rembrandt auf seinen Selbstbildnissen, die nicht Kleidung seiner Zeit, sondern historisierende Gewänder zeigen. Und natürlich blickt er – wie alle Selbstporträtisten – stets zum Spiegel, aus dem er sein Konterfei abmalt – und zum Zuschauer, dem Voyeur. Aber welche Instanz ist eigentlich der Spiegel – etwa für Erik Schmidt, der sich als Dandy erhängt oder sich als präraffaelitisch ertrunkene Ophelia inszeniert? Bildet Historie das einzig verbliebene Bezugssystem?

Oder ist das anonyme Publikum der Spiegel des Künstlers – jene Betrachterschar, die über die Qualität der Performance etwa von Peter Land urteilt, der als betrunkener Showmaster immer wieder vom Hocker (und aus dem Video) fällt? Oder spielen die Künstler solche Spiele für sich selbst – wie die Estin Ene-Liis Semper, die sich immer wieder umbringt: Erhängen und Erschießen, unterbrochen durch intensive Buchlektüre, sind auf ihrem Endlos-Video zu finden, das die Frage aufwirft, ob es nicht egal ist, ob man sein Leben vor- oder rückwärts spult.

Und was sagen die Detektiv-Notizen über Sophie Calle aus, die ihre Mutter bat, sie einen Tag lang beschatten zu lassen, ohne dass der Detektiv wusste, dass sie es wusste? Alles nur gemacht, alles inszeniert: Wie weit kann man heraustreten aus sich selbst – und vor allem: wie lange? Welchen Wert hat die haarfeine Beobachtung eines Individuums; lassen sich anhand von Kostümen und Gesten wirklich Aussagen treffen über igendwen?

Fragen, denen Arnulf Rainer mit seinen Grimassen-Automatenbildern ähnlich konsequent ausweicht wie der Karneval: Hier wie dort versucht man gar nicht erst, ernst zu sein – und sagt doch viel: durch die Auswahl des Kostüms. Denn vielleicht liegt gerade im Versuch zu verbergen die größte Selbstentblößung. Und der großte Selbstbetrug.

Di–So 10–18, Do bis 21 Uhr, Kunsthalle; bis 27.2.