: Karl und Rosa ziehen nicht mehr
Zehntausende gedachten gestern der 1919 ermordeten Kommunistenführer Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. PDS und Polizei: rund 30 bis 40 Prozent weniger Teilnehmer als in den Vorjahren
VON FELIX LEE
Bei den Blumenhändlern in der Umgebung des Friedrichsfelder Friedhofs galt der zweite Sonntag im Januar stets als einer der ertragreichsten. Und auch gestern verkauften sich rote Nelken mindestens so gut wie die warmen Semmeln der umliegenden Bäckereien. Denn wieder trafen sich mehrere zehntausend Menschen zum traditionellen Nelkenabwurfritual, um an der Grabstätte der 1919 ermordeten Kommunistenführer Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zu gedenken. Doch geht der Abwärtstrend bei den Teilnehmerzahlen so weiter, müssen sich die Nelkenverkäufer wohl auf ertragsärmere Zeiten einstellen.
Ein Sprecher vom Veranstalter PDS zählte 70.000 Teilnehmer, die Polizei sprach von „etwas mehr als 14.000“. Doch in einem sind sich beide einig: Es kamen rund 30 bis 40 Prozent weniger Luxemburg- und Liebknecht-Fans als in den Vorjahren. Im vergangenen Jahr hatte die PDS 100.000, die Polizei 25.000 Teilnehmer erblickt.
Dabei war das sozialistische Promi-Aufgebot durchaus sehenswert: Zu den Ersten, die gestern Morgen ihre Nelken niederlegten, gehörte der PDS-Parteichef Lothar Bisky. Mit dabei waren auch Berlins Landesparteichef Stefan Liebich und die drei PDS-Senatoren Harald Wolf, Heidi Knake-Werner und Thomas Flierl. Der ehemalige DDR-Staatschef Egon Krenz sowie der letzte DDR-Ministerpräsident der SED, Hans Modrow, waren ebenfalls vor Ort. Für sie gehörte das Ritual schon zu DDR-Zeiten zum Pflichtprogramm, damals noch staatlich verordnet, heute kommen sie wohl eher aus Ostalgie-Gründen.
Ebenfalls schrumpfende Teilnehmerzahlen zählte die gleichnamige Demonstration entlang der Frankfurter Allee. Bei diesem Aufzug linker Gruppen, die am Vormittag im Schneckentempo vom Frankfurter Tor zur „Gedenkstätte der Sozialisten“ führte, beteiligten sich rund 5.000 Menschen. Dabei ging es den zahlreichen Rednern nicht nur um eine verklärte Sozialromantik der 20er-Jahre. Sie sprachen vielmehr durchaus aktuelle Themen an, indem sie gegen Demokratieabbau, Krieg und Rassismus wetterten – vor allem aber gegen Hartz IV.
Die Polizei hatte besonders den Block überwiegend schwarz gekleideter Teilnehmer ins Visier genommen. Dort begann sie mit schweren Auseinandersetzungen, weil Demonstranten angeblich gegen Auflagen verstoßen hätten – wegen des Tragens von Seitentransparenten. Neun Personen wurden festgenommen, mindestens ein Demonstrant ist verletzt.
Die Teilnehmerzahlen bei der Gedenkveranstaltung für Luxemburg und Liebknecht waren bereits in den vergangenen Jahren stetig zurückgegangen. Noch Ende der 1990er-Jahre beteiligten sich weit über 100.000 Teilnehmer. Die Veranstaltung ist die größte regelmäßige Demonstration im deutschsprachigen Raum überhaupt. Der Kult um die Ikonen der revolutionären Arbeiterbewegung scheint abzuflauen. Auch beim 10. Rosa-Luxemburg-Kongress in den Karlshorster Räumen der Humboldt-Uni am Vortag lagen die Teilnehmerzahlen weit hinter den Vorjahren. Zur Masse hätten in den 90er-Jahren vor allem ehemalige SED-Anhänger beigetragen, lautet die Begründung eines Teilnehmers. „Die werden aber immer älter und sterben halt weg.“