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Archiv-Artikel

Ein Hilfsprogramm für die Welt

VON DOMINIC JOHNSON

45 Millionen Menschen auf der Welt brauchten im Jahr 2003 lebensrettende Nothilfe, 104 Millionen bekamen internationale Lebensmittelhilfe, 200 Millionen waren von Naturkatastrophen betroffen. 800 Millionen Menschen weltweit leiden an chronischem Hunger, über eine Milliarde hat keinen Zugang zu sauberem Wasser. 10 Millionen Menschen verhungern jedes Jahr, drei Millionen sterben an Aids.

Diese UN-Zahlen vermindern das Leid der fünf Millionen Flutopfer in Asien nicht, machen jedoch deutlich, dass es sich bei der Katastrophe im Indischen Ozean nur um eine von vielen Notlagen auf der Welt handelt. Jedes der Flutopfer hat inzwischen statistisch gesehen 1.000 US-Dollar Hilfszusagen erhalten – viel mehr als jeder andere Bedürftige in einer ähnlichen Situation. Die UNO sucht derzeit für Soforthilfe für die Opfer der Flut 977 Millionen Dollar – Zusagen stehen schon bei knapp 2,691 Milliarden.

An diese Zahlen versucht die UNO zu erinnern, während die internationale Hilfsbereitschaft für die Flutopfer im Indischen Ozean Rekordniveau erreicht. „Ich bin sehr zufrieden mit der Reaktion der Welt auf die Not der Tsunami-Opfer, aber ich mache mir mehr und mehr Sorgen über all die anderen Notsituationen, die vergessen und vernachlässigt werden“, sagte der Leiter des UN-Koordinationsbüros für humanitäre Hilfe (Ocha), Jan Egeland, letzten Donnerstag in New York.

Egeland hob vor allem den Westen Sudans (Darfur) und den Osten des Kongo hervor – auf „1.000 Tote pro Tag“ bezifferte er die Opfer kriegsbedingter Seuchen, Hunger und Vertreibung im Kongo. „Was in der Region der Großen Seen passiert“, so Egeland, „ist der große Skandal unserer Generation.“

Sudan und Kongo gehören zu den Ländern, in denen die UNO seit Jahren Hilfe leistet. Zu Anfang jedes Jahres stellt Ocha einen „konsolidierten Appell“ auf, in dem die vorhersehbaren Hilfsbedürfnisse für die von der UNO geleiteten Hilfsaktionen in aller Welt zusammengeführt werden. Gleichzeitig wird Bilanz über die Hilfsaktionen des Vorjahres gezogen. Regelmäßig fallen die geleisteten Spenden um ein Drittel bis die Hälfte niedriger aus als die geforderten.

2004 war für die UN-Hilfe dabei ein negatives Rekordjahr: Von gewünschten 3,437 Milliarden Dollar kamen nur 1,795 Milliarden Dollar zusammen, 1,642 Milliarden fehlten. Größter Geber mit 652 Millionen waren die USA; Deutschland stand mit 53 Millionen an achter Stelle. Mindestens genauso viel Hilfe wird allerdings auch außerhalb des UN-Systems geleistet.

2005 sucht die UNO nun rund 3,5 Milliarden Dollar für 17 Krisengebiete, davon knapp 1,5 Milliarden für Sudan und noch in unbekannter Höhe für Liberia. Der „konsolidierte Appell“ dafür, in dem Ocha die Begründung und geplante Verwendung der Hilfszusagen darstellt, wird heute in Genf einer Geberkonferenz vorgestellt.

Die taz präsentiert auf dieser Seite den UN-Hilfsappell 2005, der auch dieses Jahr wieder unterfinanziert sein dürfte, aktualisiert auf den neuesten Stand der Forderungen und ergänzt um den separat veröffentlichten Sudan-Appell. Nicht einbezogen sind andere Notsituationen zum Beispiel in Irak, Afghanistan, Nordkorea oder Haiti, wo die Hilfe nicht von Ocha koordiniert wird und kein Appell vorliegt. Nach UN-Schätzung werden in Nordkorea und Irak jeweils ein Viertel der Bevölkerung dieses Jahr Lebensmittelhilfe benötigen; ähnliche Anteile gelten im südlichen Afrika.

1. Sudan: 1.483.449.860 $. „Sudan steht zwischen Krieg und Frieden. In Darfur brauchen rund 1,6 Mio. Binnenvertriebene und fast eine halbe Million andere Konfliktbetroffene Hilfe zum Überleben. Im Südsudan könnten hunderttausende nach dem Friedensabkommen in ihre Heimat zurückkehren und werden Hilfe brauchen. In Ostsudan sind in manchen Regionen die Unterernährungsraten höher als in Darfur.“ Geplant: „Schutz und Stabilisierung von Bevölkerungen in Konfliktgebieten; Förderung der Menschenrechte; Förderung der Rückkehr Vertriebener; besserer Zugang zu Basisdiensten und nachhaltigen Lebensbedingungen; Förderung von Versöhnungsprozessen.“ 2004: gefordert 719.834.310 $, erhalten 456.992.215 $, es fehlten 262.842.095 $ (37 %)

2. Besetzte palästinensische Gebiete: 302.601.889 $. „In diesem Jahr werden Armut und Abhängigkeit von auswärtiger Hilfe zunehmen, Bildungs- und Gesundheitsniveau werden abnehmen. Palästinenser erleben eine der schlimmsten Rezessionen der modernen Geschichte.“ Geplant: „Hilfe für betroffene Palästinenser und Aufbau ihrer eigenen Kapazitäten.“ 2004: gefordert 300.479.250 $, erhalten 137.940.949 $, es fehlten 162.538.301 $ (54 %)

3. Äthiopien: 271.740.799 $. „Wegen schlechter oder später Regenfälle in vielen Landesteilen könnten 8,9 bis 12,5 Mio. Menschen Lebensmittelhilfe benötigen. Die Regierung startet im Januar 2005 mit ihren Partnern ein Programm für 5,1 Mio. Menschen, Lebensmittelhilfe oder Geld gegen Gemeinschaftsarbeit anzubieten. Dieser Appell schließt Hilfe für nicht davon betroffene Personen ein.“ Geplant: „Lebensmittelhilfe, Impfung von Kleinkindern, Gesundheitsausbildung, Nothilfe.“ 2004: gefordert 558.650.740 $, erhalten 441.866.969 $, es fehlten 116.783.771 $ (21 %)

4. Dem. Rep. Kongo: 185.394.640 $. „Neue Kämpfe in Nord- und Südkivu und Ituri hatten schwere humanitäre Folgen. Viele Zivilisten waren Opfer von Vergewaltigung und anderer Angriffe, Bauern mussten ihre Felder verlassen. Die Menschen haben sehr wenig Zugang zu Basisdiensten, und viele Hilfswerke haben ihre Aktivitäten nach Angriffen suspendiert.“ Geplant: „Leben retten, Notleiden verringern.“ 2004: gefordert 162.602.463 $, erhalten 82.759.670 $, es fehlten 79.842.793 $ (49 %)

5. Tschad: 182.691.840 $. „Jeder neue Zustrom von Flüchtlingen aus Darfur im benachbarten Sudan wird die Ernährungssicherheit der lokalen Bevölkerung gefährden. Ausreichendes Wasser, Feuerholz, fruchtbares Land und Basisdienste fehlen.“ Geplant: „Hilfe für Flüchtlinge, für vom Flüchtlingszustrom betroffene lokale Bevölkerung.“ 2004: gefordert 165.478.646 $, erhalten 129.430.603 $, es fehlten 36.048.043 $ (22 %)

6. Somalia: 164.463.170 $. „Im Süden und Zentrum des Landes leben Menschen weiterhin unter unbefriedigenden humanitären Bedingungen inmitten sporadischer Unsicherheit und Zwangsvertreibung: Im Norden und in Teilen des Zentrums bedroht eine vierjährige Dürre das Leben der Menschen.“ Geplant: „Leben retten, Hilfe für notleidende Bevölkerungen, besserer Schutz von Menschenrechten, Hilfe für existierende und entstehende Verwaltungsstrukturen.“ 2004: gefordert 120.026.299 $, erhalten 62.240.661 $, es fehlten 57.785.638 $ (48 %)

7. (voraussichtlich) Liberia: „Die Rückkehr von Flüchtlingen und Binnenvertriebenen hat begonnen. Gleichzeitig liegt die Wirtschaft des Landes immer noch am Boden“. Geplant: „Ausbau humanitärer Hilfe und sozialer Dienste, Unterstützung für Rückkehr.“ 2004: gefordert 140.510.163 $, erhalten 60.977.924 $, es fehlten 79.532.239 $ (57 %)

8. Uganda: 157.686.167 $. „Die Zahl der Vertriebenen erreichte 1,6 Mio. Die 200 Vertriebenenlager sind unzureichend versorgt, auch die Bevölkerung, trotz beispielloser Zunahme von Hilfe.“ Geplant: „Besserer Zugang zu Vertriebenen und anderen notleidenden Gruppen, bessere Schutz vor allem für Frauen und Kinder.“ 2004: gefordert 142.880.013 $, erhalten 104.034.561 $, es fehlten 38.845.452 $ (27 %)

9. Eritrea: 157.151.179 $. „Rund 2,2 Mio. Menschen brauchen Lebensmittelhilfe. Weil Einkommen auf dem Land gefallen sind, leben zwei Drittel der Eritreer heute in Armut. Fünf Jahre nach dem Grenzkrieg mit Äthiopien sind immer noch Häuser zerstört, Dörfer vermint, Lebenszusammenhänge zerstört und Menschen hungern. Ihr Leiden wird verstärkt durch lange Dürre und fünf aufeinander folgende Missernten.“ Geplant: „Lebensmittelhilfe; Zugang zu Basisdiensten; Hilfe und Schutz für Binnenvertriebene, Ausgewiesene, Rückkehrer und Flüchtlinge; Minenräumung“. 2004: gefordert 125.542.804 $, erhalten 67.578.768 $, es fehlten 57.964.036 $ (46 %)

10. Westafrika: 152.280.099 $. „In Ländern wie Liberia und Sierra Leone gab es Fortschritte Richtung Frieden und Stabilität, aber das Risiko aktiver und schwelender Konflikte in mehreren Ländern bleibt. Die dadurch verursachten humanitären Bedürfnisse sind grenzüberschreitend.“ Geplant: „Schutz und Hilfe für Menschen, die in die Flucht gezwungen werden; bessere Auffangkapazitäten; stärkere nationale Kapazitäten im Gesundheitswesen.“ 2004: gefordert 97.321.303 $, erhalten 83.441.444 $, es fehlten 13.879.859 $ (14 %)

11. Burundi: 134.171.865 $. „Viele Burundier befinden sich in einer akuten Notlage, andere erholen sich von 11 Jahren Konflikt. Die Mehrheit lebt in extremer Armut, nur wenige haben Zugang zu Gesundheitsversorgung und Bildung.“ Geplant: „Schnelle Reaktion; Minimierung von Disparitäten zwischen unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen und Provinzen; Unterstützung für Reintegration.“ 2004: gefordert 119.002.325 $, erhalten 37.135.033 $, es fehlten 81.867.292 $ (69 %)

12. Afrika der Großen Seen: 102.323.820 $. „Jüngste Ereignisse haben den Optimismus des vergangenen Jahres gedämpft. Über sechs Millionen Menschen in der Region sind vertrieben, viele sind Seuchen ausgesetzt und verrichten riskante Arbeiten. Frauen und Kinder werden systematisch ausgebeutet, vergewaltigt, entführt, in die Prostitution gezwungen und rekrutiert. Rund 5 Mio. Menschen sind in der Region an Konflikten und ihren Folgen gestorben. Machtkämpfe, Streit um Nationalität und Landeigentum sowie wirtschaftliche Interessen destabilisieren weiterhin Friedensprozesse.“ Geplant: „Koordinierung regionaler Organisationen, höheres Profil für die Krisen der Region.“ 2004: gefordert 85.461.521 $, erhalten 64.028.558 $, es fehlten 21.432.963 $ (25 %)

13. Tschetschenien: 59.444.073 $. „Alle Menschen in Tschetschenien leiden unter einer zerstörten Infrastruktur, zerrissenen Sozialsystemen und einem Klima der Unsicherheit, Gewalt und Straflosigkeit. Die humanitäre Lage könnte dennoch Zeichen einer allmählichen Verbesserung zeigen.“ Geplant: „Schutz für die Zivilbevölkerung, Nothilfe, Hilfe für Wiederaufbau.“ 2004: gefordert 62.100.033 $, erhalten 42.065.540 $, es fehlten 20.034.293 $ (32 %)

14. Guinea: 43.743.004 $. „Fast eine Million Langzeitflüchtlinge aus Nachbarkriegen leben in Guinea, und die Lebensbedingungen der Guineer haben sich verschlechtert wegen Verringerung internationaler Hilfe und Mangels an Reformen.“ Geplant: „Nachhaltige Initiativen, Beteiligung Guineas an subregionalen Strategien zur Stabilisierung“. 2004: gefordert 36.044.512 $, erhalten 14.263.932 $, es fehlten 21.780.580 $ (60 %)

15. Elfenbeinküste: 39.366.057 $. „Vertriebene und andere notleidende Bevölkerungen in Elfenbeinküste leiden weiterhin unter den Folgen einer Lage ‚kein Krieg, kein Frieden‘.“ Nach den Kämpfen vom November wurde der Appell erweitert. Geplant: „Hilfe für Betroffene, Wiederaufbau von Gesundheitszentren und Schulen und landwirtschaftlicher Aktivitäten, Polio-Impfkampagne.“ 2004: gefordert: 61.260.802 $, erhalten 11.030.229 $, es fehlten 50.230.573 $ (82 %)

16. Zentralafrikanische Rep.: 23.260.305 $. „Die Menschen erleiden die humanitären Folgen einer tiefen strukturellen Notlage nach Jahren der Krise und der Rebellion: akute Gesundheitskrise, zerstörtes Bildungswesen, fallendes Ernährungsniveau, Mangel an Sicherheit.“ Geplant: „Erweiterung von Hilfsoperationen in das Landesinnere.“ 2004: gefordert 7.629.331 $, erhalten 2.901.210 $, es fehlten 4.728.121 $ (62 %)

17. Kongo-Brazzaville: 21.960.437 $. „Die humanitäre Lage in der Region Pool ist kritisch für bis zu 250.000 Menschen, mit großen Verlusten an Leben, Zerstörung von sozialen Diensten, Straßen, Wasser- und Stromversorgung.“ Geplant: „Wiederaufbau, Förderung von Frieden und Menschenrechten, Reintegration.“ 2004: kein Appell.