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Archiv-Artikel

Berlusconi spielt mit KZ-Vergleich

ASYLPOLITIK Der italienische Regierungschef vergleicht Flüchtlingsunterkünfte in seinem Land mit Konzentrationslagern. Damit will er das Abfangen von Immigranten schon vor Libyens Küste rechtfertigen

Die italienische Regierung ignoriert die Kritik des UN- Flüchtlingshilfswerks

AUS ROM MICHAEL BRAUN

Erneut ist Italiens Flüchtlingspolitik heftiger Kritik ausgesetzt. „Ich möchte es eigentlich nicht sagen, aber die Abschiebezentren für die Immigranten gleichen Konzentrationslagern“, hielt ein prominenter Kritiker der Regierung vor. Dennoch muss er keine Angst haben, sich wegen des NS-Vergleichs womöglich gar eine Klage einzuhandeln. Denn der Mann mit den polemischen Ansichten heißt – Silvio Berlusconi. Auf einer Pressekonferenz am Dienstag, an seiner Seite EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, rechnete Italiens Ausnahmepolitiker mit dem Hang zum offenen Wort mit den unhaltbaren Zuständen in italienischen Abschiebelagern ab: „Eben deshalb hat das Parlament jetzt die Verlängerung der Haftdauer in den Lagern von zwei Monaten auf sechs Monate abgelehnt“, setzte Berlusconi nach.

Wahr ist das Gegenteil. Erst vergangene Woche hatte die Regierung – ihr Chef heißt übrigens auch Silvio Berlusconi – per Vertrauensabstimmung die verlängerte Haftdauer mit der Mehrheit der Koalitionsparteien durchgepaukt. Berlusconi ging es auch gar nicht um die unhaltbaren Zustände in den „Zentren für Identifizierung und Abschiebung“. Seine humanitäre Offensive gegen die eigene Politik zu Hause hat ein ganz anderes, offen ausgesprochenes Ziel – die Rechtfertigung der neuen italienischen Linie, die Flüchtlinge direkt vor der libyschen Küste abzufangen und gar nicht mehr nach Italien gelangen zu lassen.

Das ist nämlich Dienst am Flüchtling: „Es ist wesentlich besser, wenn an den Abfahrtsorten überprüft wird, ob die Flüchtlinge Recht auf Asyl haben. Dies erspart ihnen die Unbill, in Lager gesteckt zu werden, in denen ihre Freiheit eingeschränkt ist, bloß um dann am Ende womöglich in ihre Herkunftsländer abgeschoben zu werden“, sagte Berlusconi. Anders sieht dies weiterhin das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR). Es hatte die neue Praxis der italienischen Regierung als Verletzung internationaler Verträge wie der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 gebrandmarkt.

Diverse Spitzenpolitiker des Regierungslagers antworteten darauf ihrerseits mit heftigen Ausfällen gegen das UNHCR. „Dumm oder kriminell“ sei die UNHCR-Sprecherin in Italien, Laura Boldrini, erklärte etwa der Verteidigungsminister und Exfaschist Ignazio La Russa. Außerdem, so La Russa, trage sie „den Namen eines berühmten Partisanenkommandanten aus dem Zweiten Weltkrieg“. Mit jenem Kommandanten ist sie zwar nicht verwandt – doch es ist bezeichnend für das Klima in Italien, wenn ein an die Regierung gelangter Faschist angebliche Verwandtschaftsverhältnisse zu einem antifaschistischen Widerstandskämpfer in den Rang eines Makels befördert. La Russa fasste schließlich zusammen: „Einen feuchten Kehricht“ interessiere ihn die Kritik des UNHCR.

Ihm sprang Maurizio Gasparri bei, Fraktionsvorsitzender der Berlusconi-Partei „Volk der Freiheit“ im Abgeordnetenhaus. Auch ihn schere die Kritik „kein bisschen“. Die UNO solle sich lieber um Diktatoren wie Irans Ahmadinedschad kümmern.

Eben dies macht die UN-Agentur. Eines ihrer Hauptargumente ist die katastrophale Menschenrechtslage in Gaddafis Libyen. Dort werden die auf dem Meer aufgegriffenen Flüchtlinge ohne zeitliche Begrenzung in Lager gesperrt und misshandelt.

Dass Italiens Politik riskiert, spätestens vor dem Europäischen Menschenrechtsgerichtshof zu scheitern, ist mittlerweile auch der Regierung bewusst. Innenminister Roberto Maroni versucht Libyen davon zu überzeugen, dem UNHCR künftig die Prüfung von Asylanträgen auf libyschem Boden zu ermöglichen. Flüchtlinge mit positivem Bescheid sollen dann Richtung Norden reisen dürfen. Aber nicht mehr (nur) Richtung Italien. Rom drängt auf eine „europäische Lösung“: Alle EU-Länder sollen verpflichtet werden, Flüchtlinge aufzunehmen. Bis dahin hält Italien an der Deportationspolitik nach Libyen fest.