: Nie mehr Hassprediger
Einmal Parallelgesellschaft und zurück. Wie eine Wandlung vom Terrorschläfer zum vollwertigen Mitglied unserer westlichen Wertegemeinschaft doch noch möglich ist
Der Gegensatz könnte nicht größer sein: Auf der Bühne der elegante Referent im mokkabraunen Nadelstreifenanzug mit Krawatte, der mit großer Geste sein Publikum in Bann schlägt, unten im Zuschauerraum ein bunt zusammengewürfelter Haufen – vom Beduinen im traditionellen Gewand und Keffijeh bis zum Adidas-Trainingsanzugträger ist die ganze Bandbreite der irakischen Gesellschaft vertreten. Gebannt lauschen die Wüstensöhne der Botschaft Hassan al-Farkasis von den Vorzügen des Rundum-Sorglos-Pakets der Mekkamann-Versicherung. Begriffe wie Privathaftpflicht, Hausratversicherung oder Schadenfreiheitsrabatt haben die meisten der Zuhörer heute zum ersten Mal in ihrem Leben gehört, doch „Hassan, der Kaskoprediger“, wie er von seinen Anhängern bewundernd genannt wird, bringt die Vision eines umfassenden Versicherungsschutzes so überzeugend über die Rampe, dass es heute noch zu etlichen Abschlüssen kommen wird. Als er schließlich mit donnernder Stimme zum Abschluss einer Police aufruft, erheben sich seine Zuhörer und drängen begeistert zur Bühne. Eine perfekt inszenierte Verkaufsshow geht zu Ende. Einzig die Kalaschnikow, die der Referent „aus Sicherheitsgründen“ auf seinem Rednerpult platziert hat, erinnert an seine Vergangenheit als Al-Qaida-Kämpfer.
Vor sechs Monaten noch war Hassan al-Farkasi einer der gefürchteten Langschläfer der Al-Qaida-Zelle Augsburg-Oberhausen, bis er aufgrund einer Telefonüberwachung des Telekom-Weckdienstes identifiziert und festgenommen wurde. In der Untersuchungshaft dann die überraschende Wandlung vom eiskalten Hassprediger zum glühenden Verfechter der sozialen Marktwirtschaft. Die Umschulung zum Versicherungsvertreter im Ausbildungszentrum der Mekkamann-Gruppe war da nur die logische Konsequenz einer eindrucksvollen Blitzintegration in das westliche Wertesystem.
„Der Hassan ist ein unheimlich erfolgreicher Verkäufer, ein echtes Naturtalent“, lobt ihn sein Ausbildungsleiter Heinz Nädele. „Einer, der früher selbst mit der Panzerfaust Polizeistationen in die Luft gesprengt hat, kann die unkalkulierbaren Risiken des Lebens einfach viel realistischer vermitteln. Sein Background als früherer Topterrorist hilft ihm schon sehr, der Kundschaft einen maßgeschneiderten Versicherungsschutz anzubieten.“
Hassans Erfolgsgeschichte ist nur ein kleines Beispiel für die ambitionierten Bemühungen der deutschen Versicherungswirtschaft um die Resozialisierung gefangen genommener Extremislamisten. Anders als die Amerikaner setzen die Deutschen dabei auf Integration statt Ausgrenzung. Deshalb wurden sie von der irakischen Übergangsregierung auch ins Land gerufen, um ein funktionierendes Versicherungswesen aufzubauen und den meist allzu sorglos in den Tag hineinlebenden Irakern den Vorsorgegedanken nahe zu bringen.
Hamit al-Noor, der Repräsentant der Mekkamann-Vericherung in Nadschaf, verkauft seine Verträge am liebsten auf dem Basar. Hier findet er die aufgeschlossensten Zuhörer für seine Botschaft. „Entgeh der Rache von Saddam – versicher dich bei Mekkamann!“, ruft er in die Menge. Ein zustimmendes Gemurmel ist die Antwort. Jetzt hat er sie am Haken, bald kann er fette Provisionen einstreichen.
Doch plötzlich wird die Menge unruhig und wendet sich einem anderen Versicherungshändler zu. „Ob Hagel, Blitz, Überschwemmung oder Tod – der beste Schutz bei Wüstenrot!“, tönt der aus einer anderen Ecke des Basars. Auch die anderen deutschen Versicherer verfolgen ihre Interessen im völlig unerschlossenen und deshalb hart umkämpften irakischen Markt. Die Bauspargesellschaften wissen selbstverständlich, dass sie nicht aus jedem Beduinen einen Bausparer machen können. Aber aus einigen eben schon: Das Foto eines Beduinen, der mit seinen vier Frauen vor dem Zelt sitzt, angeregt die Wüstenrot-Broschüre durchblättert und anschließend mit anderen Stammesführern über zuteilungsreife Verträge und Eigenkapitalrendite fachsimpelt, ist beileibe keine Erfindung aus der Werbeabteilung. Der Bauspar-Slogan „Auf diese Steine können Sie bauen!“ hat im kriegszerstörten Irak eine geradezu magische Anziehungskraft.
Dass die Versicherungen oft auch mit fiesen Tricks arbeiten, zeigt das Beispiel Esmail Khans. Der 43-jährige Melonenhändler aus Kabul wollte im vergangenen Jahr den Taliban beitreten. Ohne lange zu überlegen oder gar das Kleingedruckte zu lesen, unterschrieb er auf einer Werbeveranstaltung den vermeintlichen Mitgliedsantrag. Als plötzlich enorme Beiträge von seinem Konto abgebucht wurden, musste er erstaunt feststellen, dass er gar nicht der populären Terrororganisation beigetreten, sondern einem skrupellosen Versicherungshai aufgesessen war: der hatte ihm die Talisman-Police der Nordallianz-Versicherung angedreht. RÜDIGER KIND