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Archiv-Artikel

Das Straßenmusiker-Problem

Die Künstlersozialkasse wird immer teurer – jetzt schlägt das neu gegründete Aktionsbündnis der Verwerter Alarm. Die stetig steigenden Abgaben verdanken sich der wachsenden Zahl von Versicherten. Sie verdoppelte sich in den letzten zehn Jahren

Die Politik jedenfalls,und das dürfte jeden Freiberufler beruhigen, hat durchaus Interesse am Fortbestand der KSK

VON BARBARA DRIBBUSCH

Sie ist der einzige Halt für zehntausende von freiberuflichen Journalisten, Musiklehrern oder Grafikern, die sich allein auf einem harten Markt durchschlagen: die Künstlersozialkasse. Nirgendwo können sich Freiberufler so billig krankenversichern und auch ein bisschen Rente einzahlen. Doch bei vielen Freischaffenden schleicht sich Verunsicherung ein. Denn die Künstlersozialkasse wird immer teurer – jetzt schlägt das neu gegründete Aktionsbündnis Künstlersozialversicherung der Verwerter Alarm.

In einem Brief an Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) fordern die Verwerter, darunter Verlage und Rundfunkanstalten, den Abgabesatz für die Verwerter künftig auf das Niveau von 2003 einzufrieren. Damals mussten Verlage, Sender, Theater, Musikveranstalter und Galerien nur 3,8 Prozent ihrer Honorarsumme für Freiberufler als Obolus an die Künstlersozialkasse (KSK) entrichten. In diesem Jahr ist der Abgabesatz hingegen auf 5,8 Prozent geklettert.

„Wenn der Satz weiter ansteigt, bekommen viele Verlage ein Problem“, sagt Christian Sprang, Justitiar des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, der das Aktionsbündnis initiierte. Ein Viertel der Publikumsverlage würde derzeit Verluste erwirtschaften. Jede Erhöhung von Abgaben gefährde deren wirtschaftliche Existenz und damit auch die Auftragslage für die freiberuflichen Autoren, so Sprang.

Der Abgabensatz der Arbeitgeber ist jedoch nur eine Stellschraube im Zusammenspiel zwischen Künstlern, Publizisten, den Verlagen und Veranstaltern und der zuständigen Sozialministerin Schmidt, das die KSK am Leben erhält. Dabei zahlen die Freiberufler rund 18 Prozent ihres Nettoeinkommens an Sozialversicherungsbeiträgen in die KSK ein, was etwa dem Arbeitnehmeranteil in einem Beschäftigtenverhältnis entspricht, allerdings ohne Arbeitslosenversicherung. Dafür sind die Freiberufler kranken-, pflege- und rentenversichert. Die andere Hälfte des Finanzbedarfs, gewissermaßen den Arbeitgeberanteil dieser Absicherung, tragen zu zwei Fünftel die Bundesregierung und zu drei Fünftel die Verwerter, also die Kulturunternehmen.

Das Problem: Die Zahl der Versicherten in der KSK ist stetig gestiegen und hat sich allein in den vergangenen zehn Jahren auf heute etwa 145.000 verdoppelt. Das Outsourcing von Arbeit in Zeitungsverlagen, Rundfunksendern, aber auch Musikschulen und Theatern hat tausende von Autoren und Musiklehrer in die Freiberuflichkeit getrieben – und vor die Türen der KSK. Eine steigende Zahl von Versicherten erfordert aber immer höhere Summen nicht nur von der Bundesregierung, sondern auch von den Kulturunternehmen, um die Gegenfinanzierung des Arbeitgeberanteils zu sichern. In der Folge kletterte der Abgabesatz in die Höhe.

Ob ein Abgabesatz von fast sechs Prozent nun aber eine große Belastung für Verlage und Sender ist, die durch das Outsourcing von redaktioneller Arbeit im Gegenzug eine ungleich höhere Summe an Sozialversicherungsbeiträgen für normale Angestelltenverhältnisse sparen, darüber scheiden sich die Geister. Im Vergleich zu den Einsparungen an Lohnnebenkosten für die Outgesourcten sei die Belastung durch die Verwerterabgabe „vertretbar“, findet Harro Bruns, Leiter der Künstlersozialkasse in Wilhelmshaven.

Doch nicht nur der aktuelle Abgabensatz, auch der Gedanke an die Zukunft der KSK sorgt bei vielen Beteiligten für ein mulmiges Gefühl. Nach einem von der Enquetekommission Kultur des Bundestages in Auftrag gegebenen Gutachten wird die Zahl der KSK-Versicherten nämlich künftig weiter steigen und schätzungsweise im Jahr 2015 bei fast 300.000 Personen liegen.

Dass es sich bei den Mitgliedern der 1983 gegründeten KSK nicht um eine luxuriös ausgestattete Klientel handelt, ist dabei unumstritten. Das jährliche der KSK gemeldete Durchschnittseinkommen liegt gegenwärtig bei 11.000 Euro. Mutmaßungen, viele Versicherte würden ein geringeres Einkommen angeben, als sie eigentlich erzielten, um den KSK-Beitrag gering zu halten, wurden bisher durch Stichproben der KSK nicht bestätigt. Abweichungen seien bei Prüfungen nur „zu einem geringen Prozentsatz“ festgestellt worden, berichtet Bruns. Die Besserverdienenden unter den Freiberuflern sind dabei die Publizisten, die im Schnitt ein Einkommen von 13.640 Euro im Jahr angeben, während die Musiker im Schnitt mit 9.656 Euro auskommen müssen.

Steigt die Zahl der KSK-Mitglieder weiter, nimmt auch der Finanzbedarf an die Kulturunternehmen und die Bundesregierung zu. Der Bundeszuschuss von zwei Fünfteln des Arbeitgeberanteils ist dabei zwar fürs erste gewährleistet. Bundessozialministerin Ulla Schmidt (SPD) hat erst unlängst erklärt: „Die Bundesregierung verbürgt sich für die Zukunft der Künstlersozialkasse.“

„Das Problem liegt auf der Verwerterseite“, sagt Olaf Zimmermann, Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates. Um die Belastung der bereits gemeldeten Verwerter erträglich zu halten, drängt der Kulturrat dabei vor allem darauf, auch die noch nicht zahlenden Verwerter zu erfassen. Dazu gehören beispielsweise Automobilunternehmen, die ihre Werbebroschüren von externen Grafikern gestalten lassen, aber auch Hotels, die Barpianisten beschäftigen, ohne die Abgabe zu entrichten.

Die KSK verfügt allerdings nur über viereinhalb Stellen, auf denen die Mitarbeiter Verbandslisten, Telefonverzeichnisse und Veranstaltungskalender durchforsten, um neue, noch nicht zahlende Verwerter ausfindig zu machen. Dabei ist die absolute Zahl der angegebenen Honorarsummen der Verwerter trotz aller Anstrengungen der KSK in den vergangenen Jahren sogar gesunken. Dieser Rückgang hänge mit der konjunkturellen Entwicklung zusammen, die viele Kulturunternehmen in die Insolvenz oder zur Geschäftsaufgabe gezwungen habe, erläutert Bruns.

Kein Wunder also, dass zur Kostendämmung immer wieder empfohlen wird, den Kreis der Versicherten einzuschränken. Der Vorschlag, kurzerhand einen Einstellungsstopp für KSK-Versicherte zu verhängen, dürfte aus rechtlichen Gründen nicht umsetzbar sein. Andere Ideen sehen vor, das erforderliche Mindesteinkommen für KSK-Versicherte heraufzusetzen oder Versicherte, die mehr verdienen als die Beitragspflichtgrenze in der Krankenversicherung, aus der KSK auszuschließen. Doch bisher schon ist es nicht einfach, in die KSK aufgenommen zu werden: 25 bis 30 Prozent aller Anträge auf Mitgliedschaft werden von der Künstlersozialkasse abschlägig beschieden.

Immer wieder beschäftigen sich zudem auch die Sozialgerichte mit der Frage, wer denn nun als Künstler in die KSK dürfe und wer nicht. Vor Gericht konnten sich Tee-Zeremonienmeister und Straßenmusiker in die KSK einklagen. Tattoo-Zeichner und ein Aktionskünstler, der über Autos lief, wurden hingegen abgelehnt – bei dem Performance-Künstler fehlte die künstlerische „Schöpfungshöhe“. Auch Dessous-Models und Haar-Stylisten konnten den Beweis künstlerischen Schaffens nicht erbringen. Und Kultur-Freiberufler, die mehr mit Koordinierungsaufgaben beschäftigt sind, wie etwa Aufnahmeleiter beim Film, werden von der KSK gleichfalls abgelehnt. Das brisanteste Verfahren, das derzeit anhängig ist, betrifft rund 30.000 Web-Designer. Das Bundessozialgericht will dieses Jahr darüber entscheiden, ob die KSK die Web-Designer aufnehmen muss oder nicht.

„Wir flicken zwar immer am System, aber wir renovieren es nicht“, gibt Zimmermann vom Kulturrat zu bedenken. Die Politik jedenfalls, und das dürfte jeden Freiberufler beruhigen, hat durchaus Interesse am Fortbestand der KSK. Denn wenn die Künstler dort keinen sozialen Rückhalt finden, landen sie schlichtweg als Sozialfälle bei den Arbeitsagenturen – und auch das kostet Geld. Die Reformvorschläge der Enquetekommission Kultur des Bundestages zur KSK werden noch für dieses Jahr erwartet.