: Urwüchsig mit Elektromobil
ALPENORTE Die sogenannten alpinen Perlen fördern sanfte Mobilität. Sie werden die Alpen nicht retten, sinniert unser wandernder Autor
■ Die Orte Über die Alpinen Perlen von Arosa bis Werfenweng und ihre Angebote informiert: www.alpine-pearls.com. ■ Mobilität Gute Verbindungen und Sonderangebote zu Bahnfahrten in den Alpen liefern die Webseiten der DB, der ÖBB, der Rhätischen Bahn, der Vinschgauer Bahn und des Glacier-Express. ■ Hintergrund Mehr zu den Alpen bei www.alpenarchiv.de und www.gletscherarchiv.de.
VON THOMAS PAMPUCH
Villnöß in Südtirol in den Dolomiten ist eine echte „alpine Perle“, wie es sie seit einigen Jahren in allen Alpenländern gibt: Orte, die sich dem sanften Tourismus verschrieben haben. Ortsbesichtigung. Lokaler Führer ist Toni, 56, ehemaliger Motocrossprofi, der immer von Paris–Dakar geträumt, nun aber umgesattelt hat. Toni ist gewissermaßen die Fleisch gewordene „sanfte Mobilität“ der Alpen, von der heute so viel die Rede ist: „The best things in life are (gas) free“.
Die Alpen sind fantastisch, sie sind bunt, sanft, wild, romantisch, schroff, herausfordernd und tröstend, sie sind der Triumph der dritten Dimension über die Ebene, sie weiten den Blick, sie hüllen einen ein, sie teilen und führen zusammen. Doch die Alpen sind auch in Gefahr. Die Klügeren wissen es seit langem, und manche tun sogar etwas dafür, sie zu retten. Wer heute die Alpen besucht, stößt immer wieder auf jenes Phänomen, das Jared Diamond so treffend als „Landschaftsvergesslichkeit“ beschrieben hat: Kaum einer weiß noch, wie es vor 50 Jahren bei uns ausgesehen hat. Der Wandel kommt schleichend.
Bei einer kleinen Hütte bekommen alle Gäste erst einmal einen Buchweizen-Kaiserschmarrn, für den man eine Rallye Dakar–Villnöß erfinden könnte. Dann geht’s bergauf zur Geislergruppe. Vergessen sind die aufgebrezelten Hotelkomplexe, die dröhnenden Fun- und Saufcenter an den Pisten, die Riesenparkplätze, wie sie jeder Skitourist kennt. Unter diesen Gipfeln ist Ruh.
Man muss nicht stockkonservativ oder Unlustgreis sein, um die Fortschrittsbesoffenheit, mit der die Alpen für das 21. Jahrhundert fit gemacht werden sollen, für ziemlich einfältig zu halten. Die Verschandelung, Zersiedelung, Verjodelung und Verspaßung haben zwar den Mythos Alpen nicht zerstört, doch angekratzt ist er. Genauso wie demnächst jener Acker einer anderen kleinen „alpinen Perle“: Das urige 100-Seelen-Dorf Chamois hoch über dem Aostatal ist nur zu Fuß oder mit einer Seilbahn zu erreichen, überlegt aber allen Ernstes, einen „Bergflugplatz“ für touristische Flugzeuge auszubauen.
Doch müssen nicht alle Alpengemeinden, die Tourismus wollen, jede nur mögliche Nische besetzen? Sind nicht Bemühungen für Nachhaltigkeit, wie sie etwa die inzwischen 21 „Alpine pearls“ propagieren, ein Zeichen, dass sich etwas bewegt? Dass Alpen-Orte heute statt Skizirkus einen Zirkus der Elektromobile und Schlittenhunde-WM anbieten, dass Anreise mit der Bahn ausdrücklich gefördert wird, dass alternative Spaß- und Freizeitmobilität erdacht wird – liegt da nicht die Zukunft des Alpentourismus? Schon weil der Schnee in vielen Gebieten ausbleiben wird.
Dass 84 Prozent aller Alpenbesucher immer noch mit dem Auto anreisen, wird den Alpen irgendwann den Kollaps bringen. Dass inzwischen alle beteiligten nationalen Bahngesellschaften von der DB bis zum piekfeinen Schweizer Glacier-Express mit gutem Service und günstigen Angeboten für Zugreisen werben, ist in jeder Hinsicht allerhöchste Eisenbahn. Doch mit sanft mobilen Initiativen allein ist es wohl nicht getan. „Alpine Perlen“ wären dabei genauso wenig die Lösung wie ein flächendeckender Ersatz des alpinen Skisports durch die „naturnahen“ Skitourengeher. Zum Sammeln und Konzentrieren der Ski-begeisterten Massen sind Zentren wie Kitz oder St. Anton wohl nötig und vielleicht sogar segensreich, weil sie den ganz normalen, lustigen Massenskiwahnsinn auf bestimmte Gebiete beschränken.
Es geht also nicht nur darum, nachhaltigen Tourismus zu fördern, sondern ein Management zu schaffen, das die 100 Millionen Alpenbesucher sinnvoll so in der Landschaft verteilt, dass sie möglichst wenig Schaden anrichten. Man muss die selbst ernannten „Best of the Alps“-Gemeinden wie Zermatt, St. Moritz oder Cortina nicht mögen, doch mit ihrer Konzentration auf eine umgrenzte Zone haben sie eine Schutzfunktion für andere Gebiete.
Irgendwann wird es stockfinster, da trifft es sich gut, dass nach eineinhalb Stunden Fackeln im Wald aufscheinen und eine Gestalt namens Seppi Schnaps austeilt. Den braucht man auch, um den Fährnissen des (sanften) Anstiegs zur Geisleralm (1.996 m) zu trotzen. Oben auf der Geisleralm wird die Gruppe mit einem fünfgängigen „fossilen Dinner“ belohnt, in dem die dolomitischen Steinstrukturen in kulinarische Entitäten transformiert erscheinen. Dann kommt der Höhepunkt des Perlentags: Die Gäste werden in Zweierpacks auf uralte Heuschlitten gesetzt, um im samtenen Nachtschnee sechs Kilometer hinunter ins Tal zu gleiten. „Kommts im Sommer wieder!“, sagt Sepp in seinem kehligen Dialekt. „Dann könnts mit der Pferdekutschen fahren. Aber das macht dann der Toni.“