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Archiv-Artikel

Wie die Zeitung durch ein Nadelöhr geht

NEUSTART Seit fünf Wochen hat die taz ein farbiges Layout. Dieses Wunder bewirkt Jörg Kohn

Erfahrungswerte

Zahlen: Der Kioskverkauf hat sich seit dem Start der neu gestalteten taz im Vergleich zu den Vorwochen um fast 15 Prozent erhöht. An den Wochenenden sehen die Zahlen noch besser aus. Es gab kaum Abonnement-Abbestellungen mit Bezug auf das neue Layout und insgesamt sogar weniger Kündigungen, als statistisch normal ist. Die auf die neue taz bezogene – und noch laufende – Kampagne hat bereits gut 8.000 Fünf-Wochen-Abos zu je zehn Euro gebracht. Zugleich hat sich die Abozahl in den vergangenen fünf Wochen um 1.200 Vollabos erhöht.

■ Einige Baustellen: Zu magere Titelschrift über Kurznachrichten und Kommentaren. Wurde nachgebessert. Fehlende Abstände zwischen den Wörtern. Leserinnenzitat: „Seit der neuesten Ausgabe der taz fällt mir auf, dass das Layout insofern ‚nervt‘, als euch irgendwie die Leertasten ausgegangen sind.“ Es wird daran gearbeitet. Schriftartenkuddelmuddel bei Hinweisen, auf welcher Seite ein Thema zu finden ist, oder auch bei Hinweisen auf die FotografInnen. Wir bemühen uns.

AUS BERLIN KIRSTEN KÜPPERS

Der Mann, an dem letztlich alles hängt, ist Jörg Kohn. Der Cheflayouter der taz, 51 Jahre alt, sehr hellblaue Augen, lungert auf einer schief gesessenen roten Couch in seinem Büro. Der Raum im zweiten Stock des taz-Hauses ist ein dämmeriges Kabuff, in dem man schon tagsüber das Licht anmachen muss. Das Telefon klingelt. „Na klar, bin ich da! Sonst würd’ ich ja nicht rangehen.“ Er zieht den Mund schief.  Es geht ihm schon besser heute. Kohn hatte zwei Tage frei, er ist aufs Land gefahren, hat in einer Hängematte gelegen und viel geschlafen.

Dazu muss man wissen: Kohn ist so etwas wie das Nadelöhr der taz-Produktion. Nach allem Gerede, nach allen Konferenzen, Telefonaten, nach allen Schreibkrisen, Redigierarbeiten und den Verbesserungen durch die Korrektur landen irgendwann alle Texte, Überschriften und Fotos der Zeitung auf den Flachbildschirmen von Kohn und seinen Mitarbeitern. Er baut sie dann mit seinen Layoutkollegen zu einer fertigen Zeitung zusammen. Er sorgt also dafür, dass die taz so aussieht, wie sie aussieht – neuerdings so bunt und anders.

Seit fünf Wochen hat die Zeitung ein neues Layout, neue Schriften, mehr Fotos, eine neue Wochenendausgabe. Die sonntaz. Das Problem ist nur, knurrt Kohn: „Hier im Haus blickt niemand, wie’s funktioniert.“

Man kann sich denken, dass es unter diesen Bedingungen fast ein Wunder war, dass es überhaupt geklappt hat mit der Blattreform zum 30. taz-Geburtstag. Den feierten Redaktion und Leserschaft Mitte April mit einem großen Kongress in Berlin. Tatsächlich sah es zeitweise aus, als würde die ganze schöne Reform in einer Katastrophe enden.

Zum Beispiel am Donnerstag vor dem Kongress, als es fast 23 Uhr war und Jörg Kohn seinen Überstundenberg wachsen und wachsen sah. Als alle ziemlich runter waren mit den Nerven, und die Designerin von der Agentur KircherBurkhardt, die sich das Aussehen der neuen taz ausgedacht hat und nun die Umsetzung überwachte, hinter ihrem Macbook auch mal mit den Augen rollte. Als die ersten tazler nach Bier schrien, weil das Gefummel an den Seiten kein Ende nahm. Das war so einer von den Momenten, an denen es ziemlich haarig aussah.

Idee geht vor Umsetzung

Irgendwann war die sonntaz dann doch fertig. Der stellvertretende Chefredakteur Reiner Metzger rannte los zur nächsten Dönerbude und holte Bier und Böreks und Pommes für alle, und ein Redakteur bemerkte: „Bei Springer gäb’s jetzt Koks und Nutten!“

Jörg Kohn arbeitet seit fast zwanzig Jahren bei der taz. Er hat Layouts kommen und gehen sehen. Diesmal ist das Problem das veraltete Redaktionssystem, mit dem er die Pläne umsetzen soll. Kohn packt diesen Widerspruch in einen schlichten Satz: „Unser System kann keine Farbe.“

Er hat diesen Satz in den letzten Monaten ständig wiederholt. Aber es ist, als würde Kohn in einen leeren Eimer rufen. Die große Idee hatte bei der taz schon immer Vorrang vor der praktischen Umsetzung. Kohn knirscht: „Auf mich hört hier sowieso keiner.“

Dass seit über einem Monat trotzdem eine bunte Zeitung erscheint, liegt daran, dass er seinen Computer überlisten kann. Wie er das macht, weiß keiner außerhalb der Layoutabteilung so genau. Kohn nippt an seinem Kaffee und schweigt. Es ist das breite sinnige Schweigen desjenigen, der weiß, wie man andere vom Reinpfuschen abhält.

Natürlich war die Vorbereitungszeit viel zu knapp. Lange wurden die Entwürfe für die neue taz diskutiert, verworfen, wieder diskutiert. Als Kohn sie endlich zu Gesicht bekam, verkroch er sich für ein paar Wochen in der EDV-Abteilung, einer kabelverhangenen Höhle im fünften Stock des taz-Gebäudes, und vertiefte sich in die neuen Konzepte. Trotzdem reichte die Zeit am Ende nicht. Die technische Umsetzung hat Kohn zwar mit den Mitarbeitern von der EDV einigermaßen austüfteln können. Für die gründliche Schulung der Redakteure hat die Zeit jedoch nicht mehr gereicht. Stattdessen: Learning by doing.

So standen dann am Abend des ersten Produktionstags, dem 17. April, Redakteure zappelig um Kohns Computer herum und warteten, dass die Seite 1 der ersten neugestalteten Ausgabe aus dem Drucker käme. Die Seite kam aber nicht. Der Computer hatte Schwierigkeiten – ausgerechnet mit dem taz-Logo, der roten Tatze. Kohn blaffte: „Unser System kann keine Farbe!“ und bastelte eine neue Tatze. Er sagte jetzt überhaupt nichts mehr. Die Druckerei rief an und fragte, wo die Übertragung bleibe, die Lieferwagen, die die Zeitungen zu den Kiosken bringen sollten, fuhren schon vor. Die Kollegen vom Vertrieb flehten und beschwichtigten. Kohn baute stur wie ein Panzer die Tatze. 31 Minuten nach der letzten Frist hat es dann doch noch geklappt mit der Übertragung. Am Abend hielten die Gäste der Geburtstagsgala die neue taz in den Händen.

Auch Kohn ist auf der Gala gewesen. Er hat ein paar Bier getrunken, hat versucht, runter zu kommen vom Stress, dann ist er nach Hause gefahren. Das Wochenende hat er auf dem Sofa vor dem Fernseher verbracht.

Am Abend vor dem taz-Kongress sah es aus, als würde die ganze schöne Reform in einer Katastrophe enden

Für Kohns neue taz lief die Premiere gut. Fernseh- und Radiosender berichteten ausgiebig über den Geburtstag, an den Kiosken kauften doppelt so viele Leute wie sonst die Zeitung, Bahnhofsbuchhändler im ganzen Land hatten ihre Schaufenster mit der taz dekoriert.

Die erste Mail um 8.48 Uhr

Bei der taz-Leserbriefredakteurin in der Rudi-Dutschke-Straße kommen hunderte Briefe an. Die erste E-Mail schreibt Christian Szillat aus Hamburg am Samstag um 8.48 Uhr: „Die neue Gestaltung ähnelt mir persönlich einfach zu sehr der Springerpresse.“ Jörg Krühne aus Düsseldorf schimpft: „Mit dem neuen Layout habt ihr euch in den Kreis der Kirchenblättchen und Krankenkassenmitteilungsbroschüren begeben.“ Zwei Stunden später gratuliert Annette Mayer, ebenfalls aus Düsseldorf: „Also dieser Relaunch ist euch wirklich gelungen. Herzlichen Glückwunsch!“ Kohn produziert da schon die Montagsausgabe.

Inzwischen hat sich alles etwas eingespielt. Reiner Metzger sitzt in seinem Drehstuhl im zweiten Stock des taz-Gebäudes, im Regal neben dem Schreibtisch liegen rote Äpfel. Er sagt: „Normalerweise bekommt man ja die Hucke voll gemeckert. Aber diesmal sind fast alle zufrieden.“

Auch sonst ist die Stimmung im taz-Haus zuversichtlich. Die EDV-Abteilung läuft nicht mehr mit eckigen Augen herum, Kohn hat sich in der Hängematte ausgeschlafen, es wird weniger geschrien, die taz verkauft sich deutlich besser als vor der Reform. Natürlich wird es jetzt noch Korrekturen am neuen Layout geben. Die Schrift der Dachzeilen soll größer werden, die Unterzeilen sollen einen anderen Schrifttyp bekommen, solche Sachen.

Und Kohn? Er sitzt auf der Couch in seinem Kabuff und sagt, dass ihm das neue Layout ziemlich gut gefalle. Eine junge Layouterin kommt herein und fragt, ob sie ein Zitat in ein Foto stellen darf. Kohn brummt: „Weiß ich doch nicht. Mach doch einfach.“ Es klingt fast heiter. Wie es weitergehen soll mit der taz? Kohn wünscht sich vor allem ein neues Redaktionssystem. „Eins, das all die Sachen, die wir jetzt schon machen, auch tatsächlich kann!“ Farbe.