Metamorphose der Basis

Was radikaldemokratische Ideen angeht, sind die Grünen heute kurzatmig. Nur die Forderung nach Volksbegehren bleibt

VON CHRISTIAN SEMLER

Was Basisdemokratie eigentlich meint, war 1980 ebenso klar, wie es 2004 zum Rätsel geworden ist. Im 80er Programm der Grünen stand diese Säule für unmittelbare, dezentrale Demokratie. Ihr sollte der Vorrang gegenüber den gesamtstaatlichen Institutionen der parlamentarischen Demokratie eingeräumt werden. Zum Zweiten waren damit neue Formen der Partizipation der „Betroffenen“ angezielt, in staatlichen Entscheidungsprozessen wie in der Ökonomie. Nicht zuletzt galt Basisdemokratie als Essential für die Rückbindung grüner Funktionsträger an ihre eigene Parteibasis (imperatives, zeitlich begrenztes Mandat, Rotationssystem) wie generell als Konzept für die Reform des etablierten Parteiensystems.

In jeder dieser Beziehungen ist das Konzept der Basisdemokratie obsolet geworden, was allerdings nur zum Teil auf das Konto der Parlamentarisierung der grünen Partei geht. Die Idee vom Vorrang der Basis lebte noch vom großen Atem radikaler Demokratisierung, war deshalb aber auch behaftet mit den Schlacken einer romantischen, antiinstitutionellen Grundhaltung. Diese Idee in der Form des Programms von 1980 hätte den Test der politischen Praxis auch dann nicht bestanden, wenn es den Grünen in der Folgezeit gelungen wäre, dem Begriff „Basis“ einen gesellschaftlich sinnvollen Inhalt zu geben. Zum Beispiel durch die Entfaltung des Konzepts der Bürgergesellschaft. Was nicht geschah.

Mittlerweile sind die Grünen so sehr zur Wahlpartei mutiert, dass ihnen ihre eigene Basis im Sinn von engagierten, nicht auf Ämter versessenen Aktivisten im Wesentlichen abhanden gekommen ist. Diese Entwicklung folgte keineswegs irgendeiner Gesetzmäßigkeit, sondern war Folge einer teils bewussten, teils naturwüchsigen Anpassung an den Parteienstaat und die durch ihn vorgegebenen Verhaltensweisen und Karrieremuster. Der Verlust der eigenen Basis korrespondierte mit dem Verlust einer möglichen, neue Mitglieder inspirierenden Programmatik, wie sie einst die mittlerweile vergessene „ökologische Umgestaltung der Industriegesellschaft“ darstellte. Hieraus folgte auch das heutige Unvermögen der Partei, gesellschaftliche Kräfte zu mobilisieren oder an der „Basis“ sozialer Bewegungen nennenswerte kontinuierliche Arbeit zu leisten. Weshalb die Frage des Verhältnisses parlamentarischer Arbeit zum außerparlamentarischen Kämpfen diverser „Basen“ für sie gegenstandslos geworden ist.

Mittlerweile ist der Impuls „unmittelbare Demokratie“ im Wesentlichen auf die Forderung nach Volksbegehren und Volksentscheiden geschrumpft, während die Forderung nach Partizipation der „Basis“ an politischen und ökonomischen Entscheidungsprozessen nur in wenigen Fällen, zum Beispiel bei der Zulassung der Verbandsklage, wirksam verfolgt wurde.

Damit soll keineswegs bestritten werden, dass die Grünen positive Beiträge im Kampf um demokratische Verhältnisse geleistet haben, zum Beispiel in ihrem zähen Ringen um Rechte der Immigranten, oder, wenngleich keineswegs von der ganzen Partei getragen, bei ihrem Einsatz für die globale Geltung der Menschenrechte. Aber auch solche Arbeit ist um die staatlichen Institutionen herumgelagert, fungiert als Zuliefererbetrieb. Die Basis hat sich in den Überbau aufgelöst.

Christian Semler, 66, versuchte 1979 ebenso verzweifelt wie vergeblich, der gerade entstehenden Partei ein radikaldemokratisches statt ein grünes Profil zu geben