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Archiv-Artikel

DIE ZWEIFEL KÖHLERS AM LUFTSICHERHEITSGESETZ SIND BERECHTIGT Köhler gibt Union Grund zur Klage

Ziemlich unverhohlen hat Bundespräsident Horst Köhler die Opposition im Bundestag zu Verfassungsklagen aufgefordert. Das rot-grüne Luftsicherheitsgesetz, das unter anderem den Abschuss von entführten Passagiermaschinen erlaubt, wenn sie wie am 11. 9. 2001 zu Terroranschlägen eingesetzt werden, verstößt seiner Meinung nach gegen das Grundgesetz, und er unterzeichne es nur, damit andere Teile des Gesetzes möglichst bald in Kraft treten.

Die Fragen, die Köhler aufwirft, haben Gewicht. Kann man ein voll besetztes Flugzeug abschießen, um einen Anschlag auf eine ganze Stadt zu vermeiden? Kann man auf diese Weise unschuldiges Leben gegen anderes unschuldiges Leben aufrechnen? Eine Frage, die vor allem Rechtsphilosophen beschäftigen dürfte.

Das Grundgesetz steht dem wohl nicht entgegen. Das Recht auf Leben ist im Grundgesetz, anders als die Menschenwürde, nicht unantastbar. Eine Abwägung scheint daher möglich, vor allem, wenn die von Terroristen entführten Passagiere sowieso kaum noch gerettet werden können. Im Ernstfall müsste die Abwägung „Leben gegen Leben“ ohnehin stattfinden, ob es nun eine gesetzliche Grundlage gibt oder nicht. Aber mit gesetzlicher Grundlage können die Verantwortlichen solche Situationen (von denen man nur hoffen kann, dass sie nie eintreten werden) wenigstens simulieren – damit im Ernstfall rationale Entscheidungen getroffen werden.

Stichhaltiger ist der zweite Einwand Köhlers. Zu Recht vermisst er eine entsprechende Grundgesetzänderung. Seit der Notstandsdebatte in den 60er-Jahren ist klar, dass die Bundeswehr nur in wenigen (im Grundgesetz explizit genannten) Fällen im Inland eingesetzt werden darf. Der Schutz vor Terroristen gehört bislang nicht dazu. Darüber setzte sich die rot-grüne Bundesregierung nun hinweg und beruft sich auf Grundgesetzbestimmungen wie „Amtshilfe“ und die Hilfe bei „Unglücksfällen“. Wer so argumentiert, wird die Bundeswehr bald auch mit neuen Gesetzen, aber wieder ohne Grundgesetzänderung, zur Durchsuchung ganzer Stadtviertel einsetzen – um Terroranschläge zu verhindern.

Die Union wollte wegen der fehlenden Grundgesetzänderung zwar zunächst klagen, doch war sie zuletzt auffallend still. Vermutlich wäre es ihr ganz recht, wenn sich die rot-grüne Sichtweise durchsetzt. Dann könnten nach einem Regierungswechsel auch CDU und CSU Bundeswehraufgaben ohne Beteiligung der Opposition ausweiten. Insofern ist es sehr gut, wenn der Bundespräsident die Union jetzt faktisch zur Klage in Karlsruhe nötigt.

CHRISTIAN RATH