: Scherf zum „Offenbarungseid“ zwingen
Protokolle des CDU-Landesvorstandes sind strikt vertraulich. Denn da wird die Strategie beredet. Wie die CDU Scherf demontieren will, das wurde im Oktober festgelegt: Beim Thema Kanzlerbrief will man ihn zum „Offenbarungseid“ zwingen
Bremen taz ■ Wenn in der Stadt Postkarten verteilt werden, auf denen die Junge Union (JU) anzügliche Scherze gegen Bremens Bürgermeister Henning Scherf macht, dann muss man sich normalerweise nichts dabei denken. Pennälerwitze eben, oder vielleicht sogar eine Anspielung auf den sozialistischen Bruderkuss.
Im Falle der derzeitigen Postkarten-Aktion (Abbildung unten links) scheint es sich um ein Element weit reichender Strategie zu handeln. Der taz liegt das streng vertrauliche Protokoll der Sitzung des Landesvorstandes vor, in der das Problem angesprochen wurde, dass der Kanzlerbrief sich möglicherweise als Niete erweisen wird. Wie die CDU sich darauf strategisch vorbereiten könnte, das sollte nicht im großen Kreis des Landesvorstandes, sondern „in der engeren Führung“ beredet werden. Bernd Neumann, der Landesvorsitzende, formulierte am 15.10.2004 in vertraulicher Runde als Ziel, „dass die CDU keinesfalls Überbringer dieser Botschaft sein dürfe“. Vielmehr müsse Scherf „gezwungen werden, mit dieser Nachricht vor die Öffentlichkeit zu treten und damit den Offenbarungseid zu leisten“ (siehe nebenstehendes Faksimile aus dem Protokoll der CDU-Sitzung).
Offiziell steht man treu zum Koalitionspartner, streng vertraulich wird an der Demontage des Zugpferdes Henning Scherf gearbeitet. Und da schickt man eben gern die jungen Leute vor. Als vor einem Jahr Henning Scherf für Posten quer durch die Republik im Gerede war, da war sein treuster Anhänger – ausgerechnet Bernd Neumann. Scherf habe in Bremen noch eine Aufgabe zu vollenden, er müsse unbedingt bleiben, meinte Neumann damals. In dem CDU-Protokoll steht nun schwarz auf weiß, was damals als Hintergedanke vermutet wurde: Neumann hofft keineswegs, dass das Zugpferd der SPD bis zur nächsten Wahl im Bremer Rathaus bleibt, sondern Neumann setzt darauf, dass sich Scherf rechtzeitig vorher selbst demontiert.
Scherf selbst hat der Personalisierung der Kanzlerbrief-Frage auf seine Person nie widersprochen, aber meist schweigt er dazu. Ende des vergangenen Jahres ließ er den Weser Report in seine Seele gucken: „Ich halte durch“ war die Botschaft seines Interviews, „es geht nicht nur um Lust. Ich habe begriffen, dass es jetzt ein ungünstiger Zeitpunkt wäre, sich aus dem Staube zu machen.“ Der Weser Report wollte auch wissen, ob es denn endlich einen Termin beim Kanzler gebe. Denn der Haushalt 2005 baut auf 549 Millionen Euro Einnahmen auf Grundlage des Kanzlerbriefes. Wenn die nicht kommen – könnte Bremen 500 Millionen einsparen? „Wir können das nicht alles in einem Jahr lösen“, antwortete Scherf. „Bis 2019“ müsse die Perspektive reichen. Und: „Natürlich kommen wir in den nächsten Jahren nicht ohne zusätzliche Kredite aus.“
So kündigt sich der Offenbarungseid an. Der Termin beim Kanzler steht immer noch nicht fest. Klaus Wolschner