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Archiv-Artikel

Sexy Autoaggression

Aus Einflussangst einen Groove machen: Mit dem White Boys Funk ihrer Band LCD Soundsystem geben James Murphy und Tim Goldsworthy dem Postpunk-Sound der Achtzigerjahre ein brillantes Update. Mit ihrem Label DFA verpassen sie New York zugleich das aufregendste Indielabel seit langem

Murphy und Goldsworthy streifen durch die Kulturlandschaft ihres coolen Wissens wie durch eine zweite Natur

VON TOBIAS RAPP

Lasst uns nicht über Zitate reden. Lasst uns nicht davon sprechen, wo welcher Riff herkommt, wer welches Hi-Hat-Zischen zuerst benutzt hat und nach wem welche Bassline klingt. Alles hört sich immer an wie irgendwas Anderes, Älteres, Credibles, Bekanntes oder Obskures. Man könnte komplizierte Zitationssysteme entwerfen, wollte man das Universum beschreiben, aus dem James Murphy und Tim Goldsworthy, die beiden Macher des New Yorker DFA-Labels und die Köpfe hinter der Band LCD Soundsystem, sich ihre Inspiration abholen. Doch das ist schon tausendmal geschehen. Vor allem aber: Sie selbst haben es schon am besten gemacht.

„I’m losing my edge“, nölte Murphys Stimme näselnd (und in ihrer Diktion an Mark E. Smith erinnernd, ein wenig auch an Jonathan Richman, aber das war’s jetzt wirklich mit den Quellennachweisen) im gleichnamigen Stück, „to the internet seekers who can tell me every member of every good group from 1962 to 1978“. 2002 kam die Single heraus und erzählte vom Glanz und Elend des alternden Hipsters, dessen cooles Wissen dabei ist, sein Verfallsdatum zu überschreiten: Er fühlt die Schritte des Nachwuchses in seinem Rücken und erzählt sich und der Welt, er sei dabei gewesen, im Unterschied zu allen anderen und ihrer geliehenen Nostalgie „for the unremembered Eighties“. „I was there at the first Can show, 1968 in Cologne … I was there when Captain Beefheart started his first band, I told him don’t do it that way, you never make a dime … I was there, I was the first guy playing Daft Punk to rock kids, I played it at CBGB’s, everybody thought I was crazy … I was there, in the Paradise Garage DJ booth with Larry Levan, I was there, in Jamaica during the great soundclashes, I woke up naked on the beach in Ibiza 1988.“

So geht das noch eine ganze Weile, bis Murphy schließlich in der komischen Verzweiflung, irgendjemand könnte ihm nicht glauben, minutenlang nur noch Namen durch die Gegend brüllt: The Normal, Lou Reed, Scott Walker, Joy Division, Scientist, Eric B & Rakim, Soul Sonic Force, Basic Channel, Gil Scott-Heron, The Slits, Mantronix, The Sonics und so weiter und so fort (und da kommen noch einige). Eine brillante Single, nicht zuletzt weil sie heute die Erinnerung an die Nacht abruft, in der man sie das erste Mal hörte, und einem so in ungewollter Ironie zwei Jahre später das Gefühl gibt, ebenfalls da gewesen zu sein, als etwas Neues begann.

Denn so war es. Gemeinsam mit der ebenfalls von Murphy und Goldsworthy produzierten Rapture-Single „House Of Jealous Lovers“ machte DFA, das neu gegründete Label der beiden, Ende 2002 ein Versprechen: Mit ihrem White Boys Funk gaben sie dem Dancefloor zum einen eine lang verlorene Punksensibilität zurück und zum anderen knüpften sie wieder an einen ganz bestimmten New Yorker Sound der Achtzigerjahre an, der unter falscher Nostalgie verloren gegangen war. Und nun, etwas mehr als zwei Jahre später, stellt man mit der zweiten DFA-Labelcompilation (V.A.: „DFA #2“) und dem Debütalbum von LCD Soundsystem („LCD Soundsystem“ beide DFA/Labels/EMI) fest: Die Hoffnung hat nicht getrogen. New York hat wieder ein großartiges, sofort an seinem Sound erkennbares Indielabel.

Dabei sind sie ein lustiges Paar. James Murphy kann man sich als bulligen Indierock-sozialisierten Ellbogenpunk vom Lande vorstellen (aufgewachsen ist er in New Jersey, the armpit of the world, wie er in Interviews manchmal sagt), bei dem es noch nicht allzu lange her ist, dass er sein Minderwertigkeitsgefühl gegenüber den Großstadthipstern verloren hat. Die große Klappe ist geblieben. Tim Goldsworthy dagegen kommt aus England, ist ein in den frühen Neunzigerjahren vom Smiths-Hörer zum Raver konvertierter Brillenträger, der dann zusammen mit seinem Schulfreund James Lavelle das Downtempo-Label Mo’wax begründete und Teil der dort beheimateten Triphop-Supergruppe U.N.K.L.E. war. Murphy war eine Weile lang erfolgloser Indierock-Schlagzeuger, bevor er ein für die Lautstärke seiner Mixe berüchtigter New Yorker Tonmischer wurde.

Es ist also alles da, als sie sich Ende 1999 in New York bei den Aufnahmen zu einer Platte des Iren David Holmes kennen lernen. Das Indie-Erbe, die Rave-Vergangenheit, das Bedürfnis nach einem lauten Voll-auf-die-Fresse-Sound, die Verliebtheit in die Größen der Vergangenheit, das Wissen, wie man Sound aufnimmt und mischt, sowie die Fähigkeit, mit einem Sampler umzugehen. Und: ein ähnlich gelagertes Unbehagen am bisher Erreichten. All das muss nur noch verschmolzen werden. Und für diese Art des male bonding gibt es ein einfaches Raverrezept: Goldsworthy verpasst Murphy eine Hand voll Pillen.

Tatsächlich erlebt Murphy seinen ersten Ecstasy-Rausch aber nicht zu Technomusik. Das MDMA entfaltet seine Wirkung, als ein DJ „Tomorrow Never Knows“ von den Beatles spielt – und wenn dies eine Legende sein sollte, ist sie zumindest gut erfunden. Denn 1999 befindet sich das New Yorker Nachtleben mit seinen ewig gleichen Houseclub-Routinen und den immer ärgerlicheren Restriktionen der Giuliani-Administration in einer tiefen Krise. Goldsworthy und Murphy entschließen sich, selbst Partys zu organisieren. Und als ihnen das nicht mehr reicht, fangen sie an, selbst zu produzieren.

Mit ihren Produktionen für The Rapture und Radio 4 erspielen sie sich in kurzer Zeit den Ruf der Independent-Neptunes. Tatsächlich tauchen mit den !!! und Erase Errata zur gleichen Zeit auch andere Gruppen auf, die auf eine ganz ähnliche Art und Weise versuchen, einen bestimmten Gang-Of-Four-orientierten Funksound und die Erfahrung von 15 Jahren elektronischer Tanzmusik für eine Bandformation nachzubauen. Im Unterschied zu den späten Achtzigerjahren allerdings, als britische Gruppen wie die Happy Mondays oder Primal Scream sich schon einmal an etwas Ähnlichem versuchten, entsteht dieser Sound nicht vor dem Hintergrund einer vor Glücksgefühl explodierenden Szene. Diese Musik entsteht aus dem infrastrukturellen Fastnichts einer Stadt, die sich vor lauter Reichtum kein Nachtleben mehr leisten will und vor lauter großer Vergangenheit kein gesteigertes Bedürfnis nach popkultureller Zeitgenossenschaft mehr hat – zumindest unterhalb der 110. Straße und jenseits von Flatbush (interessanterweise kommt der in New York allgegenwärtige HipHop in dem DFA-Universum nicht einmal in Spurenelementen vor). Sie entsteht aus dem Gefühl, all dies nicht mehr zu wollen.

Das hört man den Lyrics von „Me And Giuliani Down By The Schoolyard“ der !!! genauso an wie Radio 4. Doch niemand kanalisiert diese Wut so zielgenau wie Murphy. Sei es in einem Stück wie „On Repeat“ das von der Langeweile des „stylish creep“ handelt, dem seine Lieblingsband doch nur zum besseren Einschlafen verhilft, oder ein Hardcorestück wie „Movement“, das eine ähnliche Leere beklagt: „It’s a culture without the effort of all the culture, it’s like a movement without the bother of all the meaning.“ Das Album ist voll von dieser „metamusikalischen Verärgerung“, wie der Kritiker Simon Reynolds sie nennt. Und tatsächlich ist diese nicht nur deshalb der Modus Operandi des LCD Soundsystems, weil New York (und der Rest der westlichen Welt) voll melancholischer Hipster mit großen Plattensammlungen ist und dem Gefühl, die besten Tage seien ungefähr an dem Tag zu Ende gegangen, als man begonnen habe, die Welt bewusst wahrzunehmen – also ungefähr im Sommer 1982.

Es ist auch Murphys Art und Weise, mit der Einflussangst umzugehen, die es bedeutet, in dem Bewusstsein Musik zu machen, die wichtigen popmusikalischen Statements seien gemacht und der Gestus der Revolte hohl – bei dem gleichzeitig anhaltenden Gefühl, ohne das Bedürfnis nach beidem aber auch nicht auszukommen. Murphy und Goldsworthy bewegen sich durch die Kulturlandschaft ihres coolen Wissens wie durch eine zweite Natur: Autoaggressive Wut war selten so sexy.