: Gewalt auf moderatem Niveau
Schulleiter schätzen die Gewaltproblematik an ihren Schulen deutlich weniger brisant ein als die SchülerInnen. Insbesondere für die von Lehrern ausgehende Gewalt haben sie keinen Blick. Bildungssenator sieht viele positive schulische Präventionsprojekte
Bremen taz ■ Die Nachricht lautet: alles unter Kontrolle. Gewalt ist Alltag an Bremer Schulen, unabhängig vom Standort, und sie kommt dort in allen Formen vor. Das bestätigt auch die gestern vorgestellte Umfrage des Instituts für Arbeit und Politik unter den 191 Schulleitern nahezu aller Bremer und Bremerhavener Schulen. „Ich will nichts beschönigen“, sagt Bildungssenator Willi Lemke (SPD), „aber wir glauben, dass wir das ziemlich gut im Griff haben.“
Anlass der vom Senat finanzierten, groß angelegten Erhebung war eine im Jahr zuvor unter Schülern von 13 Bremer Schulen durchgeführte Umfrage zum schulischen Gewaltpegel. Die Forscher diagnostizierten „erhebliche Defizite des sozialen Klimas“, die „produktive Lernprozesse nachhaltig behindern“.
Die jetzt befragten Schulleiter zeichnen demgegenüber ein eher entspannteres Bild. Das Ausmaß von 17 Unterarten körperlicher, verbaler, sexueller und strafrechtlich relevanter Gewalt von und gegen SchülerInnen, Externe und LehrerInnen fragten die Wissenschaftler ab. Im Schnitt diagnostizierten die SchulleiterInnen in allen Fällen eine maximal „mittlere“, meist gar eine nicht vorhandene bis geringe Belastung.
Keine SchulleiterIn habe natürlich ein Interesse daran, ihre Schule als Hort der Gewalt darzustellen, relativierte Untersuchungsleiter Frank Meng gestern die Untersuchungsergebnisse. Die neue Freiheit bei der Schul-wahl und die sinkenden SchülerInnen-Zahlen, die Schulen in immer stärkere Konkurrenz miteinander treten ließen, förderten allerdings das „Ausblenden von Problemen“.
Besonders blind sind die SchulleiterInnen demnach für Gewalt, die von LehrerInnen ausgeht. Ihre Angaben, so Meng, lieferten „teilweise schon surreale Ergebnisse“. So schätzten Grundschul-LeiterInnen die strafrechtlich relevanten Gewalttaten ihrer SchülerInnen als größeres Problem als die verbale Gewalt von deren LehrerInnen ein.
Auffällig auch: SchulleiterInnen sehen umso mehr Gewaltprobleme, je sozial schwieriger das Umfeld ihrer Schule ist. Die Einschätzung der SchülerInnen aus Brennpunkt-Schulen und solchen aus so genannten „guten Vierteln“ differierte dagegen eher wenig.
Meng kritisierte gestern, dass Gewaltprävention und Konfliktbearbeitung keinen festen Platz in der LehrerInnen-Ausbildung hätten. Fast zwei Drittel der SchulleiterInnen wünschen sich Lehrer-Fortbildungen in diesen Bereichen. Meng plädierte dafür, mindestens alle zwei Jahre anonyme, schriftliche Schülerbefragungen durchzuführen. Nur wenn man die Schülersicht mit einbeziehe, könne man einen realistischen Eindruck des Gewaltpegels an Schulen gewinnen. Auch die LehrerInnen sollten gesondert befragt werden – in Abwesenheit ihrer SchulleiterIn.
Lemke sagte gestern zu, dass es „auf jeden Fall“ weitere Erhebungen geben werde. Details dazu ließ er offen. Lösungen für die so aufgedeckten Probleme seien in erster Linie Aufgabe der Schulkonferenz, sagte er. Schon die Schüler-Umfrage habe viel Positives bewirkt. So sei das Thema diskutiert worden, eine Vielzahl Initiativen entstanden: Von „Verträgen“, die Eltern und Lehrer schließen und die den Umgang mit und Eingriffsschwellen bei bestimmten Formen von Gewalt regeln, bis hin zu Projekten, die ganz allgemein die Persönlichkeit der SchülerInnen stärken. Das, unterstrich Schulleiterin Syltje Töpper-Hurrle gestern, sei immer noch die beste Gewaltpräventionsstrategie.
Armin Simon