: Zerschlissene Erbstücke
Vier Tage Pitti Immagine Uomo, das sind vier Tage ambitioniertes Bekleidungsverhalten: Die große Herrenmodemesse zeigt in Florenz die Trends in der Männermode des kommenden Winters, als da sind der Haifischkragen – und der Haifischkragen
VON KATRIN KRUSE
„Ich habe immer Nein gesagt. Also sage ich dieses Mal Ja.“ Es ist eine recht paradoxe Argumentation, die den japanischen Modemacher Johji Yamamoto dazu bringt, seine Männermodenschau in diesem Winter nicht in Paris, sondern erstmalig in Italien zu zeigen: auf der Pitti Immagine Uomo in Florenz. Keine schlechte Wahl. Immerhin eröffnet Yamamotos Schau die Saison. Die weltweit größte Herrenmodemesse zeigt die Tendenzen in der Männermode des kommenden Winters, noch bevor sie auf den Schauen in Mailand zu sehen sind, die morgen, am Donnerstag, zu Ende gehen. Vier Tage Pitti Uomo, das sind vier Tage ambitioniertes Bekleidungsverhalten im mittelalterlichen Fortezza da Basso inmitten von Florenz. 630 Aussteller von Jeanswear bis zum „uomo classico“ zeigen die neuen Kollektionen, und zwischen den zahlreichen Pavillons ist ein farbenfrohes Treffen, Sehen und Zeigen. Am Ende – also: viele, viele Haifischkragen später – kann man eines sicher sagen: Die Männermode liebt die Spuren, die das Leben hinterlässt.
Zunächst also Yamamoto. 1972 hat der Japaner in der Frauenmode begonnen, den allzu vielen bunten Blumen einfach Schwarz entgegenzusetzen, heute zeigt er in der Stazione Leopolda Variationen auf Grundlage der Basisgarderobe – und überrascht mit papageienfarbenen Karos. Wirklich faszinierend aber ist die Kombination der Kleidung, oder besser ihre Schichtung. Taubenblauer Strick, der Rundhals schräg seitlich geknöpft, der lange graue Wollpullover mit dem tiefen V: Ihnen allen wird das Revers zum Kragen, weil der Pullover über das Jackett gezogen ist. Das Informelle des Stricks mildert das Formelle des Sakkos. Lässig sieht das aus und ein wenig blöd – was die Sache, als freiwilliges Ridikül, nur noch lässiger macht. „Die Luft zwischen den Kleidern und dem Körper“, antwortet Yamamoto auf die Frage, was ihn am bekleideten Körper am meisten fasziniert. Und tatsächlich sind es die Wölbungen, in die der engere Pullover das weitere, steifere Sakko zwingt, die der Kombination ihren eigentümlichen Reiz verleihen. Wie immer sei die Anmutung wichtig, die Sachen hätten bereits ein Leben hinter sich, heißt es noch. Wer die Spuren des Lebens zeigt, ist mittendrin.
Im Jeanswear spielt „used“ schon lange eine zentrale Rolle. Nun soll auch in der klassischeren Herrenmode das Neue getragen aussehen. Einst verschliss ein Tweedjackett über Generationen, heute wird an der Geschichte gearbeitet, beim italienischen Hersteller Piombo etwa. Neu in dieser Saison ist dort der Patina-Druck, den das ungefütterte Wolljackett erfährt. Innen ist die hellere Originalfarbe zu sehen, außen liegt ein hübscher Gilb. Und dazu der Rautenpullover, den Pringle of Scottland erstmalig „brushed“, also mit gigantischen Fusseln, anbietet. Beide könnten ein Erbstück sein. Überhaupt sind noch immer viel typisch englische Stoffe und Muster zu sehen, der so genannte metropolitane Gentleman geht in Tweed, Überkaro und Fischgrätmuster. Was schwer und kratzig scheint, ist jedoch leicht und weich. Im gehobenen Segment der klassischen Herrenmode heißt das „Shetland mit Kaschmirgriff“. Das Strickjackengefühl auf die Spitze treibt der italienische Anzughersteller Belvest bereits seit einigen Jahren mit dem „Jacket in a Box“. Das Jackett ohne Fütterung und Schulterpolster passt zusammengefaltet wirklich in ein kleines Kästchen. Verstecken allerdings lässt sich hier nichts. Wenn die Schulter fällt, dann fällt die weiche Jacke mit ihr. Ein ehrliches kleines Ding.
Ciro Paone hört „Uomo classico“ gar nicht gern – dabei ist doch sein Kiton-Stand in ebendieser Halle zu finden. Ein altmodischer Begriff, befindet der 72-jährige Gründer der neapolitanischen Anzugmanufaktur. Lieber sagt er „ein Mann von Klasse“ – und der, meint Paone, trägt einfach, was ihm beliebt. Was er derzeit bei Kiton vorfindet, ist immerhin die schönste Farbkombination der gesamten Messe, sämtliche Töne der Braunpalette, dazu Türkis und Fuchsia. Ein gewagter – typisch italienischer, wie es heißt – Clash von Mustern und Farben, Jacke gegen Hemd. Und da sind sie, die Haifischkragen, deren Spitzen nicht nach unten, sondern waagrecht nach links und rechts zeigen. Auch im Gewühl der Messe ist der „collo francese“ schon zu finden. Er sieht ja auch am besten aus. Fehlt nur noch die gestrickte Krawatte.
Die Anzugsilhouette ist schmal, die Jacke kurz, der Trend geht zum einreihig geknöpften Zweiknopf. Die Knöpfe sitzen in hoher Position. Warum? Damit sich, so ist bei dem deutschen Hersteller Bäumler zu erfahren, der Konsument, der noch drei Knöpfe gewöhnt ist, nicht vergreift. So profan soll die Mode sein? Lieber will man annehmen, es habe mit jenem dandyesken, broschentragenden Männertypus zu tun, den Dolce & Gabbana auf ihrer Schau in Mailand zelebrieren. Denn wozu braucht man ein ausnehmend kurzes Jackett, wenn es eine extreme Taillierung erfahren soll? Die hoch gesetzten Knöpfe und die schmale Brust verleihen dem Anzug eine leptosome Grundstimmung, verstärkt durch Zigarettenhosen von geringer Fußweite.
Wie anders kommen die Anzüge von Vivienne Westwood daher. Sie sind immer tailliert, so auch in dieser Saison. Doch die Silhouette: Bei Dolce & Gabbana umschließen enge Schultern den Träger, alles ist ein wenig knapp, ein wenig beschränkt, von den Ärmeln bis hin zum schnellen, kleinen Schritt. Westwood hingegen schneidet die Schultern breiter, lässt sie jedoch nicht überhängen, und die Schulterspitze sitzt weiter hinten als beim klassischen Anzug, weil die Schulternaht schräg nach hinten verläuft. Und wenn die Catwalkanweisung vermutlich ohnehin „verwegen“ lautet, allein der Faltenröcke, der Umhänge, der Kniebundhosen wegen: Die Anzüge machen diese Anmutung leicht.
Die gestrickte Krawatte zum Haifischkragen trägt dann Giuseppe Colombo, Firmenchef des italienischen Strumpfherstellers Gallo, ebenso selbstverständlich wie seine neueste Wiederentdeckung: den Strumpfhalter. Manche Dinge haben ihre Funktion verloren und doch: „Die Eleganz verpflichtet uns.“ Für den Sockenträger mag der Sprung zu Kniestrumpf plus Strumpfhalter zu groß sein. Doch allein der lange Strumpf ist ein guter Anfang. Denn ist nicht die bloße Wade das Einzige gewesen, für das der Kanzler in seiner Brioni-Phase abgestraft wurde – abgesehen von der Brioni-Phase selbst? Wirkliche Elegants befestigen den Strumpf mit dem Gummiband kurz unter dem Knie. Farblich korrespondiert das Strumpfband mit den Farben, die für Strick, Krawatten, Hemden angesagt sind: Lila, Fuchsia, Grün.
Mit den Jeans aber ist es so: Es gibt „used“ und „washed“. Den Jeans wird mit Bleiche zugesetzt, bis sie an den Nähten vollständig weiß sind. „Used“ lässt von Dutch dagegen ins Öligbraune spielen. Mit groben weißen Stichen werden helle Cordflicken aufgenäht. So dokumentiert die Jeans ein irres Leben zwischen Ölwechsel, Renovierungsarbeit und dem Besuch der nähbegeisterten Nichte.
Die klassische Bekleidung spielt ins Legere, die Jeans strebt ins Mondäne. Urban Glam heißt die Verbindung der abgerockten Jeans mit einem Überschwang an Pelz, zu sehen bei Ermanno Scervino, einer weiteren großen Schau auf dem Pitti Uomo. Vorbei die Zeiten, in denen ein schmaler Fellkragen die Kapuze der Huskys umsäumte. Scervino setzt zwar auf Daunenoptik, verpackt in eine Mikrofaser, die leicht wie Seide scheint, doch das Volumen erreicht er durch Pelz und Fell. Die Jeans sitzen hüftig, trotzdem eng und haben tief gesetzte Taschen. Die Hemden sind großzügig aufgeknöpft, wobei eher muskulöse Oberkörper entblößt werden. Strickjacken fungieren, weit aufgeknöpft und in der Hose getragen, als Oberteil. „Das könnte meine neue Garderobe werden“, sagt ein Zuschauer nach der Schau zu einem Freund. „Aber dafür muss ich erst noch ein wenig trainieren.“