: Der Preis des Tsunami
VON SASCHA TEGTMEIER, JOCHEN SETZERUND NICK REIMER
Seinen Flutschaden kann Sah Lahir leicht beziffern: die Arbeit von 20 Jahren. Der Schmuckhändler aus Galle im Süden Sri Lankas steht seit dem 26. Dezember vor dem Nichts. „Meine Versicherung ist das da“, hatte er noch im Sommer gesagt und auf einen Elektrozaun gezeigt, der Einbrecher abhalten sollte.
Mit der „größten Katastrophe in der Geschichte der Vereinten Nationen“, wie UN-Generalsekretär Kofi Annan die Flutwelle in Süd- und Südostasien bezeichnete, hatte Lahir nicht gerechnet. Annan nannte die von der Flut insgesamt verursachten Schäden „enorm“. Doch wie viel ist das in Euro oder Dollar?
Ein Blick auf die Versicherer ist hilfreich, um den materiellen Schaden einer Naturkatastrophe abzuschätzen. So dauerte es bei der Sachsen-Flut 2002 zwar länger als ein Jahr, bis der Schaden offiziell mit 8,3 Milliarden Euro angegeben wurde. Auf das gleiche Ergebnis konnte man allerdings wesentlich früher mit den Angaben der Versicherer von 2 Milliarden Euro und der in der Branche üblichen Faustformel eins zu vier kommen – dem Verhältnis von versichertem Schaden zum Gesamtschaden bei Naturkatastrophen. Eine Analyse britischer Versicherer beziffert nun die voraussichtlichen Aufwendungen der Branche im Tsunami-Gebiet mit einer Schadenssumme zwischen 5 und 10 Milliarden Euro. Doch diese Zahlen eignen sich nicht dazu – entsprechend der Faustformel –, von einer Summe zwischen 20 und 40 Milliarden Euro auszugehen. Der materielle Schaden wird um ein Vielfaches höher liegen.
Davon geht der Geo-Risikoforscher Anselm Smolka von der Münchner Rück aus. Nur etwa 10 bis 20 Prozent der Gesamtschäden im Krisengebiet seien versichert, so Smolka. Und das sind eben nicht die bescheidenen Privathäuser und Kleinbetriebe an den Küsten, sondern vor allem die Gebäude und Ferienanlagen ausländischer Investoren. Zudem verzerren die Versicherungssummen den tatsächlichen Schaden, weil auch die Lebensversicherungen von Touristen, die tot sind oder vermisst werden, enthalten sind.
Den internationalen Hilfsorganisationen, den Regierungen der betroffenen Länder und der Weltbank fällt es angesichts dessen und der chaotischen Situation in den Gebieten schwer, den Gesamtschaden zu beziffern. Nichtsdestotrotz existieren bereits Schätzungen, die Hinweise auf das Ausmaß der Schäden geben. Als besonders glaubwürdig gelten Schätzungen der Vereinten Nationen. Allein die Fischer und Bauern in Sumatra brauchen zum Überleben langfristig mehr als 1,6 Milliarden Dollar (1,2 Milliarden Euro), wie der Generaldirektor der UN-Organisation für Landwirtschaft und Ernährung (FAO), Jacques Diouf, mitteilt. Schon auf kurze Sicht würden 27 Millionen Dollar gebraucht, um etwa in der Provinz Aceh Landwirte mit Saatgut und Dünger zu versorgen. In der Region seien 30.000 Hektar Reisfelder verwüstet worden, zudem seien 70 Prozent der Fischerei-Industrie betroffen.
Zudem hat das UN-Büro für die Koordinierung humaner Belange (OCHA) eine Bedarfsanalyse für Soforthilfe während der kommenden sechs Monate erstellt: für Indonesien, die Malediven, die Seychellen, Somalia und Sri Lanka (siehe Kasten links). Daraus geht hervor, dass der Großteil der Gelder für Unterkünfte, Nahrung sowie Krankenhäuser und Medikamente benötigt wird. Nach UN-Einschätzung sind die Schäden in Indonesien mit Abstand am größten – wie auch die Zahl der Todesopfer. 370 Millionen US-Dollar will die UNO dem Land als Soforthilfe zur Verfügung stellen, insgesamt soll 1 Milliarde Dollar für die betroffenen Regionen aufgebracht werden.
Auch die Weltbank arbeitet noch mit vorläufigen Schätzungen. Der deutsche Weltbank-Direktor Eckhard Deutscher sagte der taz: „Ende Januar werden wir die ersten Zahlen haben und über den Bedarf der Tsunami-Region für den Wiederaufbau diskutieren.“ Hilfsorganisationen konzentrieren sich deshalb zunächst auf Einzelprojekte. „Die Zustände sind noch zu unübersichtlich“, sagte Michael Mondry, Pressesprecher von „Gemeinsam für Menschen in Not“, einem Zusammenschluss fünf großer Hilfsorganisationen. Es stehe zum Teil noch nicht einmal fest, wie genau der Wiederaufbau stattfinden soll. In Sri Lanka wehren sich beispielsweise die Fischer dagegen, dass sie künftig einen Kilometer von der Küste entfernt angesiedelt werden sollen. Das Bündnis unterstützt das Fischernetzwerk Nafso in Sri Lanka, um den hunderttausenden Fischern und ihren Familien zu helfen.
Fest steht auch, dass hohe materielle Schäden und eine große Anzahl von Toten in einem Land nicht zwangsläufig mit hohem wirtschaftlichem Schaden einhergehen. Denn die betroffenen Regionen hatten schon vor dem Tsunami wenig Anteil an der Wirtschaftsleistung der jeweiligen Länder. „Die Auswirkungen auf die Volkswirtschaften ist marginal“, erklärt denn auch Friedolin Strack, Koordinator des Asien-Pazifik-Ausschusses deutscher Unternehmen, gegenüber der taz. So sei etwa in Indonesien, wo die Zerstörung am größten ist, der volkswirtschaftliche Schaden kaum messbar. Denn dort ist die wichtigste Industrie des Landes, die Ölwirtschaft, nicht von der Flutwelle betroffen. „Es wurden hauptsächlich kleinere Privathäuser zerstört“, sagt der Chef der deutsch-indonesischen Handelskammer, Jan Rönnfeld. Zudem macht die Wirtschaftsleistung der Region Aceh lediglich 2 Prozent des Bruttosozialproduktes Indonesiens aus.
Die Studie „Erste Einschätzungen zu den Auswirkungen des Tsunami“ von der Asiatischen Entwicklungsbank stuft den negativen Einfluss auf diese Wirtschaftsbereiche als „hoch“ ein – auf die Volkswirtschaft dagegen als „gering“. Aus diesem Grund geht die Studie davon aus, dass rund zwei Millionen Menschen noch tiefer in die Armut sinken werden. Denn mit den Häusern, Booten, Hotels, Krankenhäusern, Straßen und Fischerbooten seien auch „hunderttausende Arbeitsplätze“ zerstört worden.
So ist es in beinahe allen betroffenen Ländern. Nur auf den Malediven und in Sri Lanka wird die gesamte Volkswirtschaft vom Tsunami stark geschädigt. Der Grund: beide Länder sind klein und arm. Auf den Malediven ist neben den Fischern, die 7 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beisteuern, auch der Tourismus betroffen. Dieser macht mit einem Drittel den Großteil der Gesamtwirtschaftsleistung aus. Die Regierung schätzt, dass sie die Wirtschaftsleistung zweier Jahre benötigen wird, um die Schäden an Häusern und Infrastruktur zu beheben.
In Thailand ist nach Schätzungen einer Studie von Goldman Sachs der Tourismus am stärksten von der Flut betroffen. Es gäbe dort „extensiven materiellen Schaden an Hotels und Ferienanlagen“, heißt es in der Studie der Asiatischen Entwicklungsbank. Doch dürfte das Geschäft mit den Urlaubern rasch wieder in Schwung kommen, weil die Thailänder schnell reagiert und Gefahren für die öffentliche Gesundheit eingedämmt haben, heißt es in der Studie. Zudem gehen Finanzexperten davon aus, dass es sich bei der Katastrophe für Urlauber um einen „begrenzten Schock“ handelt. Der Ausbruch der Lungenkrankheit Sars Anfang 2003 sei für den regionalen Tourismus viel schlimmer gewesen, weil dabei kein Ende abzusehen war.