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Archiv-Artikel

Das Wohnzimmer zittert

Nachtbauten statt Neubauten: In der Ausstellung „Selfmade“ in der Galerie Weißer Elefant erkunden Künstler verlassene oder unbewohnbar gewordene Räume in der Stadt und an ihren Rändern

VON KOLJA MENSING

Es ist ein ganz normales deutsches Wohnzimmer, mit Sitzecke, Fernseher und Familienfotos. Doch das Idyll ist nicht von Dauer. Erst beginnt die Deckenlampe leicht zu schwingen, kurz darauf zerbrechen die Weingläser, die gerade noch säuberlich aufgereiht im Regal standen, und auch die Zimmerpalme und die Stehlampe geraten aus dem Gleichgewicht. Zuletzt, als der Teppich ganz mit Scherben und umherrollenden Blumentöpfen bedeckt ist, stürzt selbst der schwere Schrank.

Susanne Kutters kurzer Film „Moving Day“ wirkt wie ein dramatisch verwackeltes Amateurvideo aus einem Erdbebengebiet, ist allerdings das Ergebnis einer aufwändigen Inszenierung. Die in Berlin lebende Künstlerin hat das besagte Wohnzimmer in einem Container nachgebaut und dann auf einem Lastwagen bei laufender Kamera durch die Stadt gefahren, bis enge Kurven, Schlaglöcher und Bremsmanöver die Einrichtung vollständig zerstört haben. Im Rahmen von „Selfmade“, einer Sammelausstellung zu „Architektur, Stadtraum und Wohnen“, zeigt Kutters Arbeit in der Galerie Weißer Elefant jetzt eindrücklich, wie die tektonischen Verschiebungen einer Gesellschaft, die „in Bewegung“ geraten ist, den privaten Lebensraum des Individuums erschüttern. Am Ende liegt halt alles in Trümmern.

Das verheerende Schlussbild von „Moving Day“ markiert den Ausgangspunkt für die weiteren Arbeiten der Ausstellung. Die meisten der in „Selfmade“ vertretenen Künstler beschäftigen sich nämlich gerade mit den verlassenen oder unbewohnbar gewordenen Räumen in der Stadt und an ihren Rändern. So hat eine Gruppe um Franz Höfner und Harry Sachs mehrere Etagen eines leer stehenden Plattenbaus in Halle-Neustadt in ein Labyrinth mit Rutsche und Spiegelzimmer verwandelt. Für den Umbau haben sie die Möbel benutzt, die die letzten Bewohner bei ihrem Auszug dagelassen haben, und ihre Videodokumentation „Neuhaus“ zeigt nun Besucher, die vergnügt durch die engen Gänge und halbhohen Geschosse krabbeln. Wohnen will in den vermeintlich funktionalen Hochhäusern der Sechziger- und Siebzigerjahren heute niemand mehr, doch die Zwischennutzung als Abenteuerspielplatz funktioniert tadellos.

Es ist der Traum vom Eigenheim, der die Bewohner der Großsiedlungen aus ihren Mietwohnungen treibt. Folke Köbberling und Martin Kaltwasser haben ihn in ihrer „Hausbau“ betitelten Aktion mit einfachen Mitteln verwirklicht. Aus ein paar alten Holzbrettern, von Baustellen und Abrisshäusern, haben sie im vergangenen Sommer in einer einzigen Nacht auf einer Rasenfläche hinter der Gropiusstadt eine Hütte errichtet und dort eine Woche lang gelebt. Der Hintergrund des Projekts, das durch Teile des Hauses dokumentiert wird, ist eine in der Türkei legale Form der Grundstücksaneignung: Nach dem osmanischen Recht darf ein Gebäude, das erst einmal ein Dach hat, nicht wieder abgerissen werden. An den armen Rändern der größeren Städte ist darum „gececondu“, das Bauen über Nacht, zur Perfektion getrieben worden. Während der „Hausbau“ auf der grünen Wiese kaum zu übersehen war, hat der französische Künstler Etienne Boulanger sich seinen privaten Wohnraum eher diskret erschlossen. Für sein Projekt „construction“ hat er sich mit ein paar Spanplatten gut versteckte Behelfsunterkünfte hinter Reklametafeln oder in den engen Gängen zwischen zwei Häuserwänden errichtet und ist Nacht für Nacht mit seinem Schlafsack in der porösen Architektur der Stadt Berlin verschwunden.

So wird in dieser schönen, von Spunk Seipel kuratierten Ausstellung selbst die kleinste Lücke noch zum Baugrundstück – beziehungsweise zum filigranen Kunstwerk: Christoph Zwiener hat mit dünnen, von der Decke zum Boden gespannten Fäden die Umrisse eines Pollers nachgezogen, der an der Invalidenstraße steht und durch eine wie auch immer geartete äußere Einwirkung um acht Zentimeter von seiner ursprünglichen Position verschoben worden ist.

Auch diese Lücke wird sich vermutlich irgendwann schließen. Eine Spinne, die sich mit ihrem Netz zwischen den Fäden von Christoph Zwieners Plastik häuslich eingerichtet hatte, musste allerdings noch vor der Ausstellungseröffnung vertrieben werden. Im 21. Jahrhundert wird Wohnen eben zu einer äußerst flüchtigen Angelegenheit. Aber Spinnen, sagt man, sind ja recht flexibel.

Bis 5. Februar, Di.–Fr. 13–18 Uhr, Sa. 13–17 Uhr, Galerie Weißer Elefant, Auguststraße 21, Mitte