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Archiv-Artikel

Nur vier Tropfen Blut

In Schweden werden von jedem Neugeborenen Blutproben in einer Biobank gelagert. Nur zur Vorsorge und für die Forschung, hieß es bisher. Jetzt wird die Biobank zur Identifizierung von Tsunami-Opfern genutzt. Auch die Polizei möchte einen Zugriff

Die Aufnahme in das PKU-Register beruht auf Freiwilligkeit

AUS STOCKHOLM REINHARD WOLFF

Vier Tropfen Blut auf einem Streifen Filterpapier. Das ist der Beitrag jedes Neugeborenen in Schweden zu einer seit drei Jahrzehnten bestehenden Biobank. Sie soll ausschließlich der eigenen Gesundheit und Forschungszwecken dienen. Jetzt aber werden die aus diesen Blutstropfen ermittelte genetischen Daten erstmals im Rahmen eines umfassenden Abgleichs mit anderen DNA-Proben verwendet. Mit Hilfe der eingelagerten Blutproben sollen schwedische TouristInnen identifiziert werden, die Opfer der Tsunami-Katastrophe geworden sind.

Zur Verabschiedung eines entsprechenden Sondergesetzes, dessen Geltung vorerst auf die kommenden 18 Monate beschränkt ist, hatte das Parlament vor vierzehn Tagen extra seinen Weihnachtsurlaub unterbrochen. Zeit zum Nachdenken oder für eine Debatte gab es nicht.

Die Blutentnahme aus dem Handrücken ist ein Ritual, das seit 1975 in allen Kreißsälen zur normalen Prozedur gehört. Jeder der vier Tropfen Blut wird noch in der Klinik auf jeweils eine Krankheit hin untersucht. Anschließend wandern die schmalen Filterpapierstreifen zu einem zentralen Register, das dem Huddinge-Krankenhaus in Stockholm angeschlossen ist.

Drei Millionen Streifen lagern mittlerweile in diesem PKU-Register. Benannt nach einer der vier Krankheiten, auf die das Blut getestet wird: Phenylketonurie. Ein Unvermögen des Kindes, das Phenylalanin, das es in allen Proteinen, auch der Muttermilch gibt, aufzuspalten. Unbehandelt führt die Krankheit zu schweren Entwicklungsstörungen. Rund fünf Kindern jährlich bleibt dieses Schicksal dank des Bluttropfens und einer sich anschließenden lebenslangen Behandlung und Spezialkost erspart. Bei einem von 3.500 Babys wird eine Unterfunktion der Schilddrüse festgestellt, die mit Hormonbehandlung ausgeglichen werden kann.

Auch mit Hormonen kann dank des Tests bei jährlich etwa zehn Neugeborenen eine Fehlfunktion der Nebenniere, die zu einer Überproduktion des männlichen Geschlechtshormons – unangenehme Körperbehaarung bei Frauen, verfrühte Pubertät bei Jungen – führt, behandelt werden. Die vierte Probe gilt der Feststellung möglicher Überempfindlichkeit gegen Milchzucker in der Muttermilch.

„In allen Ländern mit ausgebautem Gesundheitssystem“ gibt es laut dem Göteborger Medizinprofessor Ola Hjalmarsson „diesen Typ Screening des Neugeborenen.“ Wenn die Blutproben nach den Tests nicht vernichtet, sondern eingelagert würden, dann, um später einmal Hilfe bei der Feststellung möglicher Todesursachen zu leisten. So könnte man über Fruchtwasservergleich Eltern im Falle einer weiteren Schwangerschaft beraten, die bereits ein Kind wegen einer angeborenen Stoffwechselstörung verloren hätten. Die Aufnahme in das PKU-Register beruht auf Freiwilligkeit. Doch gab es bislang kaum Eltern, die zu dieser als Service verstandenen Routine Nein sagten.

Was sich jetzt ändern könnte. Erstmals ins Gerede gekommen war die Blutbank Ende 2003. Im Rahmen der Fahndung nach dem Mörder von Außenministerin Anna Lindh begehrte die Staatsanwaltschaft eine bestimmte DNA-Probe. Und sie erhielt diese auch ausgehändigt. Ein klarer Verstoß gegen das Biobankgesetz, wonach solche Blutproben nur mit Zustimmung des Betroffenen oder – anonymisiert – zu Forschungszwecken verwendet werden dürfen.

Eine gerichtliche Prüfung gab es weder gegen die fraglichen MedizinerInnen noch gegen Polizei und Staatsanwaltschaft. Begründung: Die Rechtslage sei aufgrund des erst ein Jahr alten Biobankgesetzes unklar gewesen. Eine windige Entscheidung. Die noch mehr Unsicherheit weckte, als es im Gefolge des Lindh-Mordes prompt zahlreiche Stimmen aus Politik und Öffentlichkeit gab, das PKU-Register, das mehr als ein Drittel der schwedischen Bevölkerung umfasst und damit das mit Abstand umfangreichste ist, der Polizei bei der Verfolgung schwerer Straftaten doch gleich grundsätzlich zu öffnen.

Mehrere hundert SchwedInnen beantragten in der Folge die Vernichtung ihrer Blutproben, um dem „großen Bruder“ von vornherein zu entgehen. Was die Polizei bei einem Mordfall wenige Monate später dann auch prompt veranlasste, eine Liste genau dieser Personen zu begehren. Die sich nach ihrer Logik damit offenbar von vornherein verdächtig gemacht haben sollten. Der Antrag wurde abgelehnt.

Unter dem Motto „Ein guter Zweck heiligt die Mittel“ wurde im Parlament die DNA-Abgleichung mit dem PKU-Register zur Identifizierung von Tsunami-Opfern abgebucht. Doch nicht nur Ingrid Burman, die Vorsitzende des sozialpolitischen Reichstagsausschusses hatte dabei Bauchschmerzen: „Wenn man etwas so schnell verabschiedet, wird man das Gefühl nicht los, nicht gründlich genug abgewogen zu haben.“ Medienkommentatoren sehen aber bereits das Vertrauen in den Rechtsstaat grundsätzlich angeknackst.