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Archiv-Artikel

„Die Parlamentarier müssen offensiver mit Geldfragen umgehen“, sagt Andrea Fischer

Der ideale Politiker soll moralisch tadellos sein, einen Beruf haben, aber damit nicht viel verdienen. Warum eigentlich?

taz: Frau Fischer, wenn Sie die Debatte um die Nebeneinkünfte verfolgen – was glauben Sie, welche Idealvorstellung hat die Öffentlichkeit von einem Politiker?

Andrea Fischer: Es soll jemand sein, der moralisch unantastbar ist. Er soll vor und nach seinem Politikerleben einen interessanten und lebensnahen Beruf ausüben – damit aber am besten nur wenig Geld verdienen. Zumindest hinterher nicht, denn da hat er ja schon durch sein Leben als Politiker ausgesorgt. Um es kurz zu machen – das Politikerbild, das durch diese Debatte geistert, ist Quatsch.

Unser schlechtes Bild von Berufspolitikern wird von den Medien erzeugt. Liegt also bei den Medienmachern, den Journalisten, die Hauptschuld für die aktuelle Debatte?

Medien können keine Bilder einfach aus der Luft erschaffen, sondern nur verstärken. Die Debatte hat im Grunde auch etwas Positives. Sie zeigt, dass die Leute immer noch hohe Erwartungen an Politiker haben. Sie möchten gern von Vertretern regiert werden, die sie für anständig halten. Und ohne die Enttäuschung solcher Erwartungen wären die derzeitige Medienkampagne gar nicht möglich.

Sie sehen eine Medienkampagne? Am Anfang haben doch innerparteilichen Gegner die Nebeneinkünfte des CDA-Chefs Hermann-Josef Arentz benutzt, um ihn zum Rücktritt zu zwingen.

Sicher war die Debatte zunächst ein politisches Mordinstrument, dass denen entglitt, die es führten. Trotzdem ist das Thema für die Medien wohlfeil. Das Wort Politiker taucht derzeit nicht nur in der Bild stets mit den Attributen gierig, wohlbestallt und satt auf. Medien sollen kontrollieren. Allerdings auch sich selbst.

Das heißt?

Wenn in einem Radiointerview der berufsmäßige Parteienkritiker Herbert von Arnim beklagt, tausende Kommunalpolitiker stünden auf der Gehaltsliste von VW, dann muss der Journalist wach werden und nachhaken. Kommunalpolitik wird ehrenamtlich gemacht und die Leute müssen natürlich für ein Gehalt arbeiten.

Es geht in der Debatte mehr um Landtags- oder Bundestagsabgeordnete. Sie waren acht Jahre im Parlament. Sind Sie überrascht, wie viele Parlamentarier über Nebeneinkünfte verfügen?

Mich hat eher überrascht, dass diese so genannte politische Landschaftspflege im Kalkül von Unternehmen überhaupt noch ein Rolle spielt. Schließlich müssen die Firmen heutzutage schon etwas genauer hinsehen, was sie für ihr Geld kriegen. Und der präzise Gegenwert eines wohl gewogenen Bundestagsabgeordneten ist schwer zu errechnen.

Deshalb investieren Lobbyisten lieber in die Mitarbeiter von Ministerien. Sie waren drei Jahre lang Gesundheitsministerin und hatten viel mit der Pharmalobby zu tun. Was haben Sie zu berichten?

Ministerialbürokratien sind mächtig. Sie bereiten Informationen auf, sie informieren die Leitung des Ministeriums und bestimmen damit in gewisser Weise auch dessen Handlungen. Deswegen macht es Sinn, dort Einfluss zu nehmen, übrigens nicht nur für die Pharmaindustrie, andere Interessenverbände stehen dem in nichts nach. Das meiste davon ist aber nicht Korruption im Sinne von Vorteilsnahme. Es ist vielmehr so, dass die Beschäftigung mit dem gleichen Thema und der Austausch darüber Loyalitäten schaffen. Bis hin zur Identifikation mit bestimmten Ansichten, die den Blick trüben und die Urteilskraft negativ beeinflussen können.

Britische Parlamentarier dürfen nicht abstimmen, wenn ihre beruflichen Interessen betroffen sind. Ist das richtig?

Ich bezweifle, dass das formal abgrenzbar ist. Ein Abgeordneter ist wegen seiner Interessen und Leidenschaften im Parlament. Interesselose Politik ist eine Illusion und nicht wünschenswert. Dennoch müssen Grenzen gezogen werden. Da dies nach Erfahrung nicht jeder Einzelne für sich tut, brauchen wir mehr Offenheit. Politiker können dem Misstrauen nur entgegentreten, wenn sie veröffentlichen, wie viel sie bei wem verdienen.

Und warum wehren sich unsere Abgeordneten so sehr dagegen?

Weil in Deutschland viel Geld zu verdienen als schlecht gilt. Als ich den Bundestag verlassen habe, gehörte es zu den größten Erleichterungen, mich nicht mehr dafür rechtfertigen zu müssen, was ich verdiene. Dann haben sich die Leute gewundert, dass ich jetzt noch arbeite, denn nach ihren Vorstellungen hatte ich als Spitzenpolitikerin für immer ausgesorgt. Dagegen hilft nur Transparenz und Information. Die Abgeordneten werden offensiver mit ihren Einkommen umgehen müssen.

Also keine Entschuldigungen mehr?

So ist es. Abgeordnete müssen ehrlich sagen, was sie verdienen und dass sie es verdienen, so viel zu verdienen. Die defensive Angsthaltung gegenüber der Öffentlichkeit muss aufgegeben werden. Dazu gehört auch, dass irgendwelche Abgeordnete öffentlich ihre Diäten spenden, wenn die Diätendiskussion mal wieder hochkommt. Das ist doch widerwärtig. Ich erwarte von gut verdienenden Menschen, dass sie einen Beitrag zur Gesellschaft leisten, damit darf man sich nicht brüsten. Auch nicht, wenn es als Demutsgeste gemeint ist. Die verstärkt doch nur den Eindruck, dass sich da jemand schuldig für das Geld fühlt, das er bekommt. Und das ist falsch.

INTERVIEW: DANIEL SCHULZ