Die Dogmatiker des Luftkriegs

Warum wurde Dresden bombardiert, obwohl Deutschland im Frühjahr 1945 bereits den Krieg verloren hatte und der Stadt keine zentrale strategische Bedeutung zukam? Ein wissenschaftliches Forum am Hannah-Arendt-Institut diskutierte über rechtliche und ethische Probleme des Bombenkriegs

Ein Bombenstopp war unwahrscheinlich bei einer Waffengattung, die so hochtourig liefHilfe für die Sowjets oder eine militärische Machtdemonstration ihnen gegenüber?

VON CHRISTIAN SEMLER

Nicht ganz risikofrei, dieses wissenschaftliche Forum des Hannah-Arendt-Instituts am vorgestrigen 20. Januar in Dresden. Denn das Unternehmen „Strategische und ethische Probleme des Bombenkriegs, das Beispiel Dresden“, durchgeführt am Tatort, hätte leicht entgleisen können, hätte leicht zum Tribunal für selbstgerechte Anklagen gegen die „alliierten Kriegsverbrecher“ umfunktioniert werden, wenn nicht sogar der sächsischen NPD als Propagandabühne dienen können. Dies umso mehr, als der britische Historiker Frederick Taylor den Abendvortrag hielt, von dessen soeben in deutscher Sprache erschienenem Buch „Dresden“ das Gerücht umging, es rechtfertige die Auslöschung Dresdens in militärischer wie moralischer Hinsicht. Aber es kam anders. Das Forum wie die abendliche Veranstaltung samt anschließender Diskussion erwies sich als lehrreich, zum Teil als bewegend. Es verlief, die Befürchtungen des Institutsdirektors Besier entkräftend, in durchweg zivilisiertem Rahmen.

Das Forum versammelte eine Reihe Historiker, Spezialisten des Bombenkriegs, voran Horst Boog, einst leitend im Militärischen Forschungsamt tätig, eine Institution, die sich Verdienste in historischer Nestbeschmutzung erworben hat. Mit von der Partie auch Götz Bergander, Historiker und Publizist, dem wir die grundlegende Arbeit zur Zerstörung Dresdens verdanken. Die beiden rüstigen Greise lieferten das historische Gerüst, abgestützt von den Völkerrechtlern Reinhard Merkel und Marcus Hanke, die sich dem Problem ethischer wie juristischer Wertung des „strategic bombing“ widmeten. Im Publikum waren viele Überlebende des Dresdener Feuersturms vertreten, deren Beiträge vom Erlebnisbericht bis zur Agitation für Dresden als Friedensstadt reichten.

Das Forum wie der Abendvortrag Taylors kreisten um drei miteinander verwobene Problemkomplexe: Warum der strategische Bombenkrieg gegen Deutschland, wie ihn die Royal Air Force seit 1942 führte? Warum der Angriff auf Dresden, obwohl doch klar war, dass Deutschland im Frühjahr 1945 den Krieg verloren hatte, und Dresden keine zentrale Bedeutung in strategischer Hinsicht zukam? Schließlich: Wie stand es damals und wie steht es heute um die rechtliche wie ethische Bewertung des Angriffs auf Dresden vom 13. bis 15. Januar 1945?

Ohne das nazistische Projekt der Versklavung Europas im Mindesten zu relativieren, kamen Boog wie Taylor zu dem Ergebnis, dass es eine spezifische Traditionslinie für die Begründung des strategischen Bombens unter Einschluss der Zivilbevölkerung in England gab, die bis zu den Erfahrungen des Stellungskriegs im 1. Weltkrieg zurückreicht. Never again! Insbesondere Lord Trenchard von der RAF setzte auf die demoralisierende Wirkung eines künftigen Bombenkriegs, der keinen Unterschied mehr machte zwischen der feindlichen militärischen Stellung, dem Rüstungsbetrieb und den Wohnstätten der ArbeiterInnen. Es war dies zunächst eine militärische Minderheitsmeinung, die sich aber nach der Luftschlacht um England und den Bombardements der deutschen Luftwaffe gegen englische Städte durchsetzte. Griffig formulierte Taylor, dass die Deutschen eher Pragmatiker des Luftkriegs waren, dem sie eine eher unterstützende Funktion für den Landkrieg zuwiesen, die Engländer hingegen zu Dogmatikern des „strategic bombing“ wurden.

Taylor wie Boog verdeutlichten, dass die RAF schon in den Zwanzigerjahren systematisch Dörfer im aufständischen irakischen britischen Mandatsgebiet angriff, wobei sich der spätere Luftmarschall Harris besonders hervortat. Zu Beginn des Zweiten Weltkriegs war die britische Öffentlichkeit noch geteilt hinsichtlich der moralischen Beurteilung solcher Angriffe. Aber die britische Massenpresse im Verein mit der Regierung Churchill sorgte für einen Meinungsumschwung, wie der Historiker Lothar Kettenacker zeigte. Die deutschen Angriffe auf Städte wie Coventry, die nach Meinung beider Historiker wegen der dort ansässigen Rüstungsindustrie ein legitimes Kriegsziel waren, beförderten diesen Umschwung.

„Bomber Harris“ als Chef des Strategic Air Command war nach Taylors Einsicht ebenso Stratege wie Manager eines teuren Unternehmens. Er kalkulierte die militärische wie die Kostenseite. Der Bombenkrieg war einfacher, billiger und mit weniger Verlusten verbunden. Harris stand einer Waffengattung vor, die sich als antitraditionalistisch und egalitär verstand, als modern, der technischen Effizienz verbunden. Dem Stab wie den Piloten lagen deshalb Überlegungen fern, die deutsche kulturelle Identität durch die Auslöschung mittelalterlicher deutscher Städte zu treffen. Entscheidend war nur der Effekt der Spreng- und Brandbomben.

Konnte und sollte der Bombenkrieg im Sommer 1944 beendet werden? Britische Historiker wie Hastings sind dieser Meinung. Taylor dagegen gab in Dresden nur eine Antwort auf der pragmatischen Ebene. Ein solcher Bombenstopp war unwahrscheinlich bei einer Waffengattung, die jetzt auf vollen Touren lief. Das Bombardement diente nach Meinung der Militärs der Unterstützung der alliierten Invasion im Westen wie im Osten. Und der Bombenstopp wäre der Öffentlichkeit angesichts der weiter auf britischem Boden niedergehenden V 2-Raketen nicht zu vermitteln gewesen.

Warum Dresden? Die Stadt war, so die Historiker in Dresden, angesichts der näher rückenden sowjetischen Front nach Meinung der alliierten Militärs ein wichtiges strategisches Ziel. Hier allerdings entzündete sich eine spannende Diskussion. Sollte den Sowjets geholfen oder sollte ihnen gegenüber eine militärische Machtdemonstration inszeniert werden? Die britischen Quellen sind hier nicht eindeutig. Ein Diskussionsteilnehmer der Abendveranstaltung argumentierte, nur das Bombardement als Drohgebärde gegenüber den Sowjets biete eine rationale Deutung der Fakten.

War die Bombardierung Dresdens ein Kriegsverbrechen? In der abendlichen Diskussion wurde Taylor mit dieser Frage auf ultimative Art konfrontiert, antwortete aber in ehrlicher Weise: Er habe, da dies eine schwierige juristische Frage sei, die dazu nur auf dem Boden der damaligen Rechtsauffassungen zu beantworten sei, keine abschließende Antwort parat. Ähnlich der Salzburger Völkerrechtler Hanke, der die verschlungenen Versuche in den Zwanziger- und Dreißigerjahren rekonstruierte, ein Kriegsvölkerrecht des Luftkriegs zu kodifizieren.

Kann man sagen, dass das Verbot des Bombenterrors gegen die Zivilbevölkerung, von zeitlich und örtlich begrenzten, rechtlich zulässigen Repressalien abgesehen, schon den Status des Gewohnheitsrechts erreicht hatte? Für den Juristen Reinhard Merkel war diese Frage klar zu beantworten: Das Wie des „strategic bombing“, das systematisch die Tötung an Kampfhandlungen nicht Beteiligter einschloss, war damals wie heute nicht zu rechtfertigen. Nicht in Dresden 1945, nicht gegenüber Jugoslawien im Kosovokrieg 1999. Das war ein wuchtiges Statement – und Labsal auch für diejenigen im Auditorium, die aufgrund ihrer Redebeiträge einer rechtsradikalen Gesinnung unverdächtig waren.