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Archiv-Artikel

Elf für die Geschichte

CHAMPIONS LEAGUE Mit überwältigendem Kurzpassspiel zwingt Barcelona Manchester United in die Knie

Das Spiel

BARCELONA - MANCHESTER 2:0 FC Barcelona: Valdés - Puyol, Touré, Piqué, Sylvinho - Xavi, Busquets, Iniesta (90.+2 Rodriguez) - Messi, Eto’o, Henry (72. Keita) Manchester United: van der Sar - O’Shea, Ferdinand, Vidic, Evra - Anderson (46. Tévez), Carrick, Giggs (75. Scholes) - Cristiano Ronaldo, Park (66. Berbatow) - Rooney Zuschauer: 67.000 in Rom (ausverkauft), Tore: 1:0 Eto’o (10.), 2:0 Messi (70.)

AUS ROM RONALD RENG

Aus der Distanz von zehn Metern sahen auch drei Polizisten den Diebstahl. Europapokalgewinner dürfen stehlen. In heller Nacht, vom Flutlicht des Römer Olympiastadions in Szene gesetzt, entwand Gerard Piqué, der Verteidiger des FC Barcelona, nach dem Spiel ein Tornetz. Beladen wie ein zwanghafter Souvenirsammler schritt Piqué aus dem Stadion, Spielball und Trikots in einer Hand, Siegermedaille um den Hals, das Tornetz auf den Schultern.

Profifußballer sind auch nicht anders als Pauschaltouristen, sie klammern sich an Erinnerungsstücke. In dieser Welt voller vergeblicher Sehnsucht, die besonderen Augenblick festzuhalten, schaffte Barça mit seinem 2:0-Sieg über Manchester United im Champions-League-Finale das Schwierigste: Die Elf wird in Erinnerung bleiben.

Der Sport hat nur für die wenigsten Mannschaften Platz in seinem Gedächtnis. Barça eroberte alle drei großen Trophäen des Jahres, zu nationaler Liga und Pokal nun den Europacup. Und auch wenn sich angesichts des nur wider alle Logik überstandenen Halbfinales gegen Chelsea bezweifeln lässt, ob diese Elf so gut ist wie ihr Vorgänger, Barças Champions-League-Sieger von 2006, so wird das mit Siegern überladene Gedächtnis doch immer diese Elf bevorzugen: Radikaler als je zuvor verschrieb sich Barça seinem überwältigenden Kurzpassfußball.

Der Europapokal humpelte, von Stürmer Thierry Henry erschöpft über den Rasen geschleift, als sich Trainer Pep Guardiola vom Jubel abwandte, um einen Moment Ruhe zu finden. „Das war’s mit meiner Karriere“, scherzte er, „alles schon gewonnen.“ Er ist, mit 38, im ersten Jahr Profitrainer. Er schuf eine Elf nach seinem Abbild: schonungslos offen, geradeheraus. Als Andrés Iniestas Tor sie in letzter Minute im Halbfinale erlöste, rannte Guardiola die Seitenlinie entlang, Ersatzspieler Silvinho raste ihm hinterher: „Pep, wir müssen auswechseln, hörst du nicht: auswechseln!“, um Chelseas wertvolle Spielzeit zu verschwenden. Mehr als einmal dachten sich seine Spieler: Was für ein Vogel! Guardiola beorderte die Elf just eine Woche vor dem Finale zum gemeinsamen Essen, was auf seine Initiative eher in Trinken ausartete. Er schenkte Leo Messi, der nie liest, einen Roman von seinem großen Freund, dem Schriftsteller David Trueba. Und dennoch verstehen die Spieler ihn: Er ist einfach authentisch. Seine enorme Fachkenntnis, aber auch seine Begeisterung aktivierte diese Elf. „Wir sind Sklaven seines Glaubens“, sagt Leo Messi.

Es gibt im Fußball keinen strikteren Glaubensorden als Barça. Sie sind die Fundamentalisten der Anmut. Fußball dürfe nur offensiv, mit ewigen Pässen gespielt werden, glauben sie seit 20 Jahren. Aber seit 1994 gaben sie sich dem Stil nicht mehr so exzessiv hin wie unter Guardiola, der als Spieler ein Sohn Barças war. Er bestückte die Startelf von Rom mit sieben Fußballern aus Barças Jugendschule, und wie so oft dieses Jahr ragten die Muster des Stils, die passenden Zwerge Iniesta und Xavi, heraus.

Es war ein prächtiges Finale, und die Wahrheit ist, dass es vor allem an United lag: Als erster von über 50 Gegnern dieses Jahr wollten sie gegen Barça nicht bloß verteidigen, sondern spielen. Uniteds Elf war schnell gebrochen, ihr Mittelfeld ging in Barças Passstrudel unter. Das 1:0 durch Samuel Eto’o offenbarte eines der einzigartigen Barça-Gebote: Bei ihnen sind Außenstürmer getarnte Zusatzmittelstürmer, Eto’o zog von rechts diagonal vor das Tor, und United spürte sein Ende schon. Das 2:0 durch Messi war nur noch ein Vergnügen: ein Kopfballtor eines 1,69 Meter kleinen Mannes.

Ihre Einzigartigkeit allerdings wird sie kaum vor dem banalen Schicksal aller Sieger schützen. Der moderne Fußball verschleißt, und schon bald werden die meisten, die Guardiola nun für seinen Mut preisen, beim kleinsten Misserfolg über ihn herfallen und diese Courage Wahnsinn nennen; vermutlich auch einige seiner Spieler. Seinem Vorgänger Frank Rijkaard ging es genauso. Denn der Fußball hat kein Gedächtnis.