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Archiv-Artikel

Regeln für neuen NPD-Prozess

Die Politik will bisher kein neues Verbotsverfahren gegen die NPD, dabei könnte dies Erfolg haben

KARLSRUHE taz ■ Ein neues Verbotsverfahren gegen die NPD wäre möglich, wenn die Bundesregierung zwei Regeln befolgt, die das Bundesverfassungsgericht im März 2003 aufgestellt hat. Damals hatten drei Richter – eine Sperrminorität – die Einstellung des damaligen Verbotsverfahrens erzwungen, weil sie „nicht behebbare Verfahrenshindernisse“ festgestellt hatten.

Zum einen müssen V-Leute in der NPD-Spitze künftig „unmittelbar vor und während der Durchführung eines Parteiverbotsverfahrens“ abgeschaltet werden, betonten die Richter. Gemeint sind damit NPD-Funktionäre im Bundesvorstand oder in den Landesvorständen, die gleichzeitig gegen Geld oder andere Vergünstigungen Informationen über die NPD an den Staat liefern.

Die drei Richter sahen eine rechtsstaatswidrige Schwächung der Partei im Verbotsverfahren darin, wenn wichtige Funktionäre der Partei „doppelfunktional“ tätig sind und deshalb mit „einander entgegengesetzten Loyalitätsansprüchen“ ausgesetzt sind. Es komme nicht darauf an, ob der Staat die NPD steuerte oder deren Prozessstrategie ausgeforscht hat. In der ersten Phase des Verbotsverfahrens waren nach Regierungsangaben bis zu 15 Prozent der NPD-Vorstandsmitglieder zugleich als Spitzel für den Verfassungsschutz tätig.

Die zweite Kritik der drei Richter betrifft die Verbotsanträge von Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag. Dort hätten die zitierten Äußerungen von (ehemaligen) V-Leuten als solche gekennzeichnet werden oder ganz weggelassen werden müssen. Im letzten NPD-Verbotsverfahren hatte die Bundesregierung erst nach und nach offen gelegt, welche Belastungsaussagen in den Anträgen jeweils von V-Leuten stammten.

Unerfüllbar sind diese Anforderungen offensichtlich nicht. Wenn Politiker den gegenteiligen Eindruck erwecken, dann wollen sie damit offensichtlich die Debatte um ein neues Verbotsverfahren im Ansatz abwürgen. „Die Hürden, eine Partei zu verbieten, sind jetzt so hoch, dass es kaum noch möglich wäre“, sagte im September Dieter Wiefelspütz, der innenpolitische Sprecher der SPD, „wir hätten in Karlsruhe nicht den Hauch einer Chance.“ Ähnlich reagierte Innenminister Otto Schily auf den damaligen NPD-Wahlerfolg in Sachsen ähnlich: „Die Sache ist entschieden“, sagte er in einem Spiegel-Interview, „wir müssen uns jetzt politisch mit dem Rechtsextremismus auseinander setzen.“

Welche inhaltlichen Anforderungen das Bundesverfassungsgericht an ein Verbot stellt, ist allerdings nach wie vor völlig offen. Laut Grundgesetz ist ein Parteiverbot möglich, wenn eine Partei „darauf ausgeht, die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen“. Zuletzt hat das Gericht diese Formel allerdings 1956 beim Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) interpretiert. Es ist davon auszugehen, dass die inhaltlichen Hürden heute nach mehr als 50 Jahren gefestigter Demokratie höher liegen als noch in den 50er-Jahren.

In dem Einstellungsbeschluss im März 2003 ist das Verfassungsgericht auf die Frage, aus welchen inhaltlichen Gründen eine Partei verboten werden kann, nicht eingegangen. Es ging allein um Verfahrensfragen. Dass bereits drei Richter einen Stopp des Verfahrens erwirken konnten, ist eine Besonderheit bei Parteiverbotsanträgen. Hier sind für jede Entscheidung, die die umstrittene Partei belastet, mindestens sechs Richter erforderlich. Drei Richter bilden daher eine Sperrminorität. Alle drei – die beiden Linken Winfried Hassemer und Lerke Osterloh sowie der Konservative Siegfried Bross – sind noch am Verfassungsgericht tätig. CHRISTIAN RATH