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Archiv-Artikel

„Echt Wahnsinn“

Philipp Kohlschreiber verliert bei den Australian Open gegen Andy Roddick und staunt dabei ein bisschen

MELBOURNE taz ■ Vor dem Spiel standen sie nebeneinander am Netz, und verblüfft stellte man fest, dass Andy Roddick nur ein paar Zentimeter größer als Philipp Kohlschreiber ist. Fünf, um genau zu sein. Nun, wachsen wird der nicht mehr, um den Unterschied ausgleichen zu können, aber in den besten Momenten seines Achtelfinalspiels bei den Australian Open hatte Kohlschreiber das gute Gefühl, auf einer Höhe zu sein. Eine Stunde lang zeigte er, dass seine Einschätzung, selbst ein Gegner wie Roddick sei inzwischen „machbar“ für ihn, nicht völlig aus der Luft gegriffen war. Der ganze Roddick bewegte sich zwar außerhalb seiner Reichweite, aber zumindest der Gewinn des zweiten Satzes beim 3:6, 6:7, 1:6 im Achtelfinale des dritten Grand-Slam-Turniers seines Lebens wäre in der Tat „machbar“ gewesen.

Immerhin entzückte er knapp 10.000 Zuschauer mit dem Kunststück des Tages, einem Schlag im Sprung zwischen gespreizten Beinen hindurch, hatte zu Beginn des zweiten Satzes eine Chance, Roddicks Aufschlag zu durchbrechen, führte 3:1 im Tiebreak und verlor diesen Satz mit insgesamt nur drei Punkten Differenz. „Der Tiebreak ist ziemlich gut gewesen, und da war ich nah dran, den Satz zu machen“, meinte er später. So weit die positive Bilanz mit dem passenden „ziemlich“ als Einschränkung.

Aber nicht allzu lange nach der Niederlage hatte er auch eine recht genaue Aufzählung seiner Versäumnisse parat. Prinzipiell habe er den Fehler gemacht, Punkte zu schnell erzwingen zu wollen. „Ich hätt weniger machen sollen. Ich wollte ihn wegschießen, wollte alles schnell-schnell – und das muss man nicht.“ Wobei es natürlich auch leicht ist, gegen einen wie Roddick in einen gewissen Temporausch zu geraten; der Amerikaner ist nicht gerade als Meister des Verweilens bekannt. Mit solchen Spielern, meint Philipp Kohlschreiber, müsse er in Zukunft bei den großen Turnieren auch häufiger trainieren; die Barriere, sie anzusprechen, sei in Zukunft sicher niedriger als früher.

Das meiste, was Kohlschreiber nach dem letzten Auftritt bei den Australian Open 2005 sagte, klang unaufgeregt und solide durchdacht, nur mit einer Geschichte erntete er zum Abschied unfreiwillig einen Heiterkeitserfolg. Andy Roddicks Aufschlag sei „echt Wahnsinn“ gewesen – „den hätte ich schwächer eingeschätzt“. Schneller und härter als Roddick schlägt keiner auf, aber es geht halt nichts über eigene Erfahrungen.

DORIS HENKEL