: Die Vielfalt der anderen Welten
Auch wenn Porto Alegre wieder zum Happening werden dürfte – der Bewegung stehen harte Diskussionen bevor. Noch einigt sie vor allem der Protest
VON STEPHAN KOSCH
Der Name ist Programm. Als „Vereinigung zur Besteuerung von Finanztransaktionen im Interesse der BürgerInnen“ hat sich Attac – so die Abkürzung des französischen Originaltitels – 1998 in Frankreich gegründet. Seitdem haben sich vier Staaten für die Einführung einer solchen Transaktionssteuer, meist unter dem Schlagwort „Tobin-Tax“ diskutiert, ausgesprochen. Bleiben noch 189 Staaten – viel Arbeit für Attac & Co.
Und dabei beschränken sich die Globalisierungskritiker noch nicht einmal auf die Tobinsteuer. Von der Hochfinanz in Internationalem Währungsfonds (IWF) und Weltbank über den Welthandel bis zu lokalen Projekten für Umweltschutz und soziale Gerechtigkeit reicht das Netz, das bei aller Kritik an der Globalisierung mindestens so weltumspannend ist wie das ungeliebte Finanz- und Handelssystem.
Gegen neoliberalen Handel und ungezügelte Macht der Finanzmärkte wurde viel protestiert. Und die Aufmerksamkeit, die das Thema Globalisierung mittlerweile in den Medien genießt, ist einer der größten Erfolge der Kritiker – auch wenn schon lange vor Attac Dritte-Welt-Gruppen ähnliche Thesen vertreten und Massendemonstrationen organisiert haben – etwa gegen den G-7-Gipfel in Bonn 1985 und 1988 gegen die IWF- und Weltbanktagung in Berlin. Doch erst heute würden solche Proteste mit dem Globalisierungsthema verbunden und ernst genommen, meint zum Beispiel der Berliner Protestforscher Dieter Rucht. „Wahrnehmungsrevolution“ nennt er das.
Doch wie sieht es mit konkreten Ergebnissen aus? Auch der deutsche Attac-Sprecher verweist zunächst auf die erfolgreiche Platzierung des Themas. Die Proteste und Kampagnen hätten Sensibilität für Fragen geschaffen, die bis dahin noch kaum auf der Agenda waren, sagt Malte Kreutzfeldt. Und zumindest in der Rhetorik von WTO, Weltbank und IWF habe die Arbeit von Attac & Co. ihren Niederschlag gefunden. Allerdings, räumt er ein, bleibe es zumindest in den Institutionen noch bei sprachlichen Veränderungen.
Auch bei der Tobinsteuer hat es vor allem PR-Erfolge gegeben. Von einem anfangs als „unrealistische Idee“ abgeurteilten Instrument habe sie sich zur realen Option entwickelt, sagt Kreutzfeldt. Und die Frage sei eigentlich, in welchem Maße die Globalisierungskritiker Schlimmeres hätten verhindern können. Das Scheitern des Treffens in Cancún, das die WTO-Verhandlungen für einige Zeit auf Eis legte, hätten zwar die Entwicklungsländer verursacht – doch die Globalisierungskritiker hätten die Stimmung dafür mitgeschaffen.
Kritischer sieht Jürgen Reichel, Entwicklungspolitischer Referent beim Evangelischen Entwicklungsdienst (EED) die Rolle der Globalisierungskritiker. Zwar hätten die Sozialforen in der Vergangenheit dafür gesorgt, dass die Bewegung selbstbewusster auftrete und vor allem kleinere Basisgruppen aus unterschiedlichsten Ländern eine Bühne für ihre Anliegen erhalten hätten. „Doch Buntheit an sich ist kein Wert.“ Auf den Sozialforen mit ihrem „Happening-Charakter“ gebe es eine Furcht vor übergeordneten Strukturen, die der Formulierung von übergeordneten Positionen zuwider läuft. „Es ist noch nicht gelungen, zu einer gemeinsamen Strategie zu kommen“, beschreibt er den Nachteil der basisdemokratischen Ausrichtung.
Doch es dürfte nicht nur um strukturelle Probleme gehen. Hinter einem „Nein“ zu bestehenden Verhältnissen lassen sich leichter auch sehr heterogene Strömungen vereinen. Noch sammeln die Globalisierungskritiker mit ihrem „Gemischtwarenladen“ (Rucht) an Protestzielen unterschiedlichste Gruppen hinter sich. Bei der Frage nach konkreten Alternativen trennen sich daher schnell die Wege. So zu sehen bei den Protesten gegen Hartz IV, denen sich auch Attac verschrieben hatte – mit begrenztem Erfolg. Je konkreter der Gegenstand des Protests, desto differenzierter die Positionen.
Das Problem ist bei Attac längst bekannt. So sieht Peter Wahl, Welthandelsexperte bei der Organisation Weed, in einem Attac-Newsletter die Pluralität der Bewegung zwar als „Reflex einer in sich pluralen und widersprüchlichen Wirklichkeit“, die als „politische Produktivkraft“ genutzt werden könne. Doch sei die Bewegung noch weit von einer „transnationalen Interventionsfähigkeit“ entfernt. Eine überzeugende Alternative sei dazu nötig.
Die diskutierten Vorschläge erinnern an die Geschichte der Arbeiterbewegung oder der Grünen, die für konkrete politische Erfolge auch länger als ein Jahrzehnt brauchten. Ist eine komplette Systemalternative das Ziel, wie einst der Sozialismus? Oder reicht es, die bestehende Ordnung zu reformieren? Soll eine Partei gegründet werden oder sollen projektorientierte Kampagnen den Schwerpunkt der Arbeit bilden? Für die Beantwortung dieser Fragen dürfte ein Weltsozialforum nicht reichen.