Beschäftigung mit Gespenstern

Die Wirkungsgeschichte der RAF speist sich aus einer Vielzahl von identifikatorischen Kurzschlüssen. Drei Generationen von Künstlern haben sich mittlerweile damit auseinander gesetzt. Über Erfahrungen beim Kuratieren einer Kunstausstellung

Was fasziniert, sind ganz offensichtlich nicht die Taten, sondern die Vorstellungenvon Gewalt und Konsequenz

VON ELLEN BLUMENSTEIN

Am Anfang des Interesses an einer Kunstausstellung zur RAF steht das, was Heinrich Böll als „den Krieg der 6 gegen 60 Millionen“ bezeichnet hat im Verhältnis zur fortgesetzten Präsenz der RAF in den Öffentlichkeiten der BRD.

Die Präsenz dieses „RAF-Gespenstes“ lässt sich insbesondere aus der Perspektive der Nachgeborenen, die die 70er-Jahre und den „deutschen Herbst“ selbst nicht bewusst miterlebt haben, anhand der nachvollziehbaren Fakten, der veröffentlichten Literatur, aber auch der Filme zu dieser Thematik nicht auflösen oder gar erklären. Und natürlich kann eine solche Erklärung auch nicht die Aufgabe der Kunst sein. Vielmehr positioniert sie sich genau in dem Spannungsfeld von Historie, Ikonografie und Wirkung, verhandelt Komplexitäten, Funktionszusammenhänge und mögliche Subjektivitäten, ohne sie dabei aufzulösen.

In einer Kunstausstellung kann es um die Erscheinungsformen dieses „Gespenstes“ gehen, weniger um die Konstruktionen eines historischen Narrativs. Das Gespenstische (und daran anschließend das Imaginäre, die „Vorstellung des Terrors“) in seinem Verhältnis zur Realität stellt für viele Künstler, die das Sujet RAF aufgreifen, den Ausgangspunkt dar. Im Zuge dessen wird deutlich, dass es nicht die eine Realität gibt, sondern dass es um deren Verhandlung mit den Mitteln der Kunst geht.

Daraus lässt sich nicht schließen, dass andere Beweggründe, seien es private, ästhetische, auch politische, für die Künstler keine Rolle gespielt hätten. Genauso wenig kann das heißen, dass hinter dem beschriebenen Spannungsfeld die Frage nach zeitgeschichtlicher, soziologischer, rechtsgeschichtlicher, politischer Aufarbeitung und Analyse der Geschichte der RAF nur noch zweitrangig oder gar unwichtig wäre.

Mittlerweile haben sich drei Künstlergenerationen mit dem Thema RAF auseinander gesetzt. Entstanden sind unterschiedliche Positionen, die nicht eine Lesart der Ereignisse vorgeben, sondern eine Vielfältigkeit von Deutungen zulassen, die nicht dem Zwang zu einer einheitlichen Erzählung, die die Geschichtsschreibung genauso wie auch das Medium Film häufig benötigt, unterliegen, sondern auch fragmentarisch, privat, emotional Subthemen herausgreifen und vereinzeln könne. Die kuratorische Beschäftigung mit ihnen hat sich als extrem fruchtbar erwiesen. Bis heute zeigt sich die Wirkungsgeschichte der RAF als eine Vielzahl von identifikatorischen Kurzschlüssen, deren Magnetismus in den künstlerischen Arbeiten auf unterschiedlichste Art gebrochen, isoliert, übersteigert und reflektiert wird, ohne sich den Ansprüchen historischer Wahrheit aussetzen zu müssen.

Ohne die Aufmerksamkeit und hohe Präsenz durch und über die Massenmedien, die sie auch zur Selbstinszenierung instrumentalisierte, hätte die RAF als Thema weder die Gesellschaft als Ganzes noch die Kunst als spezifischen Bereich so intensiv beeinflussen können. Das RAF-Gespenst wurde in den Medien geboren. Diejenigen Arbeiten, die sich konkret mit ikonografisch vereinnahmten Bildern beschäftigen, vereinzeln diese, holen sie von der Ebene des kulturellen Bildgedächtnisses zurück und dekonstruieren entweder deren affektive Überdeterminiertheit oder rekonstruieren ihren Kontext aus der Sinnentleerung öffentlicher Phantasmen.

Die Installation „Hostage“ (1994) von Dara Birnbaum und das Video „Sich selbst bei Laune halten oder die Spielverderber“ (1977) von Marcel Odenbach folgen dieser Strategie auf unterschiedliche Weise: Birnbaum verdichtet in ihrer Installation aus Bildern des amerikanischen Fernsehens zum „deutschen Herbst“ die Überforderung des Betrachters angesichts der Überfülle an präsentiertem Material, indem sie dem Besucher eine aktive Rolle innerhalb der Arbeit zuweist. Laserschranken, die den Raum durchlaufen, ermöglichen ein Stoppen der Medienflut auf einem Kanal, während sie allerdings auf allen weiteren Kanälen ungehindert weiterfließt. Birnbaum beschwört in dieser Installation das Gefühl der Ohnmacht, der Vereinnahmung.

Marcel Odenbach reagiert in seinem kurzen Film direkt auf diese Reizüberflutung und reprivatisiert die überpräsenten Bilder. Noch in der Nacht, in der die von der deutschen Regierung nach Mogadischu entsendeten Beamten der GSG 9 das entführte Flugzeug „Landshut“ befreit hatten und in der die in Stammheim Inhaftierten Selbstmord verübten, hält Odenbach die aggressive, tatenlose Spannung auf Video fest, die ihn angesichts der Folgenschwere der Ereignisse, die er selbst weder zu verantworten hat noch in irgendeiner Weise beeinflussen kann, umtreibt. Er entzieht sich der Zwangsläufigkeit der Ereignisse inklusive der darauf folgenden Reaktionen und versucht sich selbst alternativ mit billigen Geduldsspielen bei Laune zu halten. Währenddessen ist der Fernseher ausgeschaltet – er rekapituliert die Zuspitzung der Lage ausschließlich mit Hilfe von alten Magazinberichten. Der Sound eines Western oder Horrorfilms mit Schreien und Pistolenschüssen erfüllt jedoch weiterhin den Raum. Ähnlich hat Rainer Werner Fassbinder den Konflikt zwischen öffentlichem Erwartungsdruck und dem eigenen Wunsch nach Differenzierung in seinem Beitrag für den Film „Deutschland im Herbst“ gelöst.

Die unterschiedlichen Ansätze der Künstler liegen auch in ihrer Generationenzugehörigkeit begründet. Für diejenigen, die die Siebzigerjahre selbst als Erwachsene erlebt haben und im Sinne Klaus Theweleits den „gleichen generationellen Hintergrund“ (so in seinem Text „Ghosts“) aufwiesen, sind die Protagonisten, vor allem Andreas Baader und Gudrun Ensslin, Personen, zu denen man eine Haltung entwickeln musste. Sie waren ein reales Gegenüber vor dem Hintergrund des Generationenkonflikts, der „Gruppenexplosion von 1967“ (Theweleit) und der Verbindung von Rock ’n’ Roll mit den neuen gemeinsamen Sprachen der Kritischen Theorie, der Psychoanalyse und des Marxismus.

Mit dieser Situation musste sich beispielsweise Olaf Metzel auseinander setzen. Heute sagt er zwar: „Der Tegeler Weg und Stammheim sind heute Verortungen einer Zeit, die lange zurückliegt.“ (Katalog zur Ausstellung) Die erlebte Enge der Siebzigerjahre – die berühmte „bleierne Zeit“ – hat allerdings auch seine Arbeit beeinflusst. Für die Ausstellung baut er einen Entwurf von 1984 in die Kunstwerke ein, der vor eine Wand eine Mauer aus Ytong-Steinen setzt, aus einem Material also, das selbst ein kulturelles Zeichen der Zeit ist.

Für diejenigen, die 1977 noch Kinder waren, die Ereignisse dennoch nicht auf Augenhöhe wahrnehmen konnten, ist die Beschäftigung mit der RAF besonders schwierig. Ihre Protagonisten sind nicht mehr real, aber dennoch so präsent, dass man sich notwendigerweise zu ihnen verhalten muss.

Auf sehr subtile Weise hat es beispielsweise Michaela Melián geschafft, der Flut medialer Bilder die eigenen entgegenzusetzen. Sie hat sich, vermittelt über Orte, die in dem Romanfragment von Bernward Vesper „Die Reise“ beschrieben werden, der deutschen Vergangenheit zugewandt. Vesper, der lange mit Gudrun Ensslin zusammenlebte, bevor sie ihn für Andreas Baader verließ, bewegte sich in der linken Szene und hat die letzten Jahre vor seinem Selbstmord 1971 auf die Arbeit an der „Reise“ verwendet. Erst posthum 1977 veröffentlicht, wird hier durch die persönliche Nähe zu Gudrun Ensslin ein großer Teil der frühen RAF-Geschichte mit verhandelt. Zugleich setzte sich Vesper mit der Vergangenheit seines Vaters als angesehenem Nazidichter auseinander. Diese Verknüpfung von zeithistorischen Themen setzt auch Melián in ihrer Arbeit um. „Triangel“ (2002) ist noch heute der Name des Gutes, auf dem Will Vesper lebte, und Ort der Kindheit von Bernward, für den der Name symbolisch mit der Vergangenheit des Vaters verbunden ist. Von den Landstraßen in der Lüneburger Heide ausgehend, folgt sie Vesper auch an die Orte, die für den Verlauf der Ereignisse von Bedeutung waren. So entstehen in genähter Form fragile Räume auf dem Papier, die fast abstrakt scheinen und gleichzeitig die drei thematisierten Zeitebenen miteinander verbinden.

Eine distanziertere Haltung ist erst der Generation möglich, die den „Deutschen Herbst“ nicht mehr bewusst miterlebt hat. Denn jetzt ist die RAF und damit ihre Protagonisten nur noch Symbol/Zeichen, in das man sich selbst hineinimaginieren, deren Rolle man nachspüren kann, ohne sich damit im Sinne des identifikatorischen Drucks positionieren zu müssen: Solange man niemandem in die Quere kommt, darf man Prada-Meinhof-T-Shirts tragen (ob das besonders sinnvoll ist oder nicht) und dabei Gudrun Ensslin oder Andreas Baader „spielen“. Imaginary sexiness. Oder den Ängsten der Protagonisten nachspüren. Über die politische oder gesellschaftliche Relevanz der RAF nachdenken. Oder sie für reaktionär und uninteressant halten.

So wirft Sue de Beer in ihrer Arbeit „Hans & Grete“ (2002/2003) einen Blick auf die Wirkungskraft der Protagonisten der RAF in den USA. Dort sind sie heute ähnlich bekannt wie Che Guevara. Aus der Schwierigkeit heraus, sich aus der definitorischen und identifikatorischen Übermacht der Eltern zu lösen, sollen die dort porträtierten Jugendlichen eine Aktion, die so radikal ist, dass sich die Trennung abrupt und ohne Umkehrmöglichkeit vollzieht, daraus befreien. Was fasziniert, sind ganz offenbar nicht ihre Taten, denn von denen weiß man kaum etwas, sondern vielmehr die Vorstellung von Gewalt, Konsequenz und der Möglichkeit des Handelns, die heute wie damals in den allermeisten Fällen nur noch in der Fantasie ausgelebt wird.

Die RAF propagierte den Zusammenhang von Avantgarde und Gewalt, von Glamour und revolutionärer Gesinnung. Auf diese Bedeutungszuschreibung weist Theo Ligthart in seiner Arbeit „avantgarde“ (2000/2004) hin. Er löst aus Texten der RAF, die die Beziehungen zwischen Avantgarde und Gewalt argumentieren, die zentralen Stellen heraus und vergrößert sie auf einer Leinwand. Demgegenüber stehen Logos einer Serie von Mercedes mit dem Namen „Avantgarde“.

In dem anfangs beschriebenen Spannungsfeld entsteht durch solche Arbeiten ein Raum künstlerischer Reflexionen. In diesem Raum ist es möglich, die unterschiedlichen Arbeiten in einen Dialog zu setzen, der für den Betrachter eine Abfolge von Erfahrungen ermöglicht, welche ihn selbst wieder in die Verantwortung nehmen.

Zusammen mit Klaus Biesenbach und Felix Ensslin ist Ellen Blumenstein Kuratorin der Kunstausstellung „RAF – Zur Vorstellung des Terrors“, die von Samstag an in den Berliner Kunstwerken zu sehen sein wird