: Die asozialste Firma der Welt
Supermarkt-Konzern Wal-Mart erhält in Davos den Kritikerpreis. Schlechte Löhne für ArbeiterInnen in afrikanischen Zulieferbetrieben. Die Sozialstandards von Unternehmen sind selten überprüfbar
AUS BERLIN HANNES KOCH
54 Dollar Monatseinkommen für 14 Stunden Arbeit am Tag. Unter diesen Bedingungen stellen ArbeiterInnen in Lesotho (südliches Afrika) Kleider für Wal-Mart her, hat die Bürgerrechtsorganisation Clean Clothes Campaign ermittelt. Die US-Supermarktkette unterhält rund 90 „Supercenter“ auch in Deutschland.
Nach Angaben der Bürgerrechtler reichen 54 Dollar im südlichen Afrika nicht, um die Hälfte der lebensnotwendigen Ausgaben einer vierköpfigen Familie zu decken. Grund genug, Wal-Mart für die Preisverleihung an das weltweit „unverantwortlichste Unternehmen“ zu nominieren. Von der internationalen Szene der Konzernkritiker wurde der so genannte Public Eye Award gestern verliehen – und Wal-Mart hat ihn bekommen. Bei der Gegenveranstaltung zum Weltwirtschaftsforum im Schweizer Skiort Davos wurden neben der US-Handelskette weiterhin ausgezeichnet: die Unternehmensberatung KPMG für umfassende Hilfe zur Steuerflucht, Shell für Ölverseuchung in Nigeria und Nestlé für aggressive Vermarktung von künstlicher Babynahrung.
Gegenüber der taz verwies Wal-Mart auf seine Richtlinien. Danach soll sich der Lohn in Zulieferbetrieben an den jeweiligen gesetzlichen Standards orientieren. Längere Arbeitszeiten als 14 Stunden täglich sind ausgeschlossen. Wal-Mart Deutschland unterhalte keine Beziehungen zu Lesotho, hieß es.
Mit der Preisverleihung wollen die Bürgerrechtsorganisationen die in Davos versammelten Manager beim Wort nehmen. „Verantwortung des Unternehmens“ (Corporate Social Responsibility, CSR) ist fester Bestandteil der Selbstdarstellung transnationaler Konzerne. Fast alle Firmen haben sich Verhaltenskodizes gegeben, in denen sie ihr soziales und ökologisches Engagement betonen. So auch Wal-Mart: In ihrem Ethikstatut bekennt sich die Firma zur Einhaltung der Gesetze, zum Kampf gegen Korruption und zum Schutz der Umwelt. Die sozialen Standards, die die Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in ihren Leitsätzen für multinationale Unternehmen empfiehlt, würden ebenfalls eingehalten, erklärt Wal-Mart.
Darüber allerdings gehen die Meinungen auseinander. Die OECD fordert, dass die landesüblichen Beschäftigungsbedingungen nicht einseitig unterboten werden sollten. Die Informationen der Clean Clothes Campaign geben im Falle von Wal-Mart jedoch Hinweise darauf, dass die Zulieferer in Lesotho ihre ArbeiterInnen unter normalem Standard beschäftigen. In der OECD sind die wichtigsten westlichen Nationen Mitglied.
Selbst bei Unternehmen, die sich umfassende Verhaltenskodizes geben, klaffen Theorie und Praxis oft erheblich auseinander. Denn die entscheidende Frage ist nicht beantwortet: Wie kann man die Konzerne zur Einhaltung ihrer Versprechungen bewegen, soweit sie über formelles, vor Gericht einklagbares Recht hinausgehen?
„In Deutschland gibt es bisher keine unabhängige Institution für die Verifikation“, sagt Ingeborg Wick vom Entwicklungsinstitut Südwind. Im Falle von Beschwerden gegen Unternehmen ist die Überprüfung der Vorwürfe eine Sache des Zufalls oder findet gar nicht statt. Es gibt keinen institutionellen Ort, an dem die ausländischen Beschäftigten von transnationalen Konzernen ein Recht auf Anhörung hätten.
Heute existieren erst Ansätze. Der eine: die Kontaktstellen der OECD. Die deutsche ist beim Bundeswirtschaftsministerium angesiedelt. Eigene Recherchen können die wenigen Mitarbeiter jedoch nicht anstellen. Und Sanktionen verhängen schon gar nicht. International gibt es verschiedene Zusammenschlüsse von Unternehmen, Gewerkschaften und Bürgerrechtsgruppen, die Sozialstandards für einzelne Branchen überwachen. Den Status von formellem Recht hat aber noch keine dieser Organisationen erreicht.