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Archiv-Artikel

berliner szenen Traumpost (3)

Hummerhirn

Neben mir zappelt etwas. Ich wecke ihn und frage, was los ist. „Eine Spinne hat meinen Fuß gegessen“, murmelt es benommen. „In diesen Breitengraden gibt es keine Spinnen, die Füße essen“, erwidere ich und er schläft beruhigt wieder ein.

Ich bin plötzlich im Haus meiner Großeltern, das es schon ebenso lange nicht mehr gibt, wie meine Großeltern nicht mehr leben. Alle sind da: Großeltern, Eltern, alte Freunde, neue Freunde, die meine Großeltern gar nicht hätten kennen lernen können. Ich koche für sie. Es gibt einen großen, roten Hummer, wie ich ihn noch nie gegessen habe. Ich stelle es mir eher unangenehm vor, lebendig gekocht zu werden. Als ich glaube, dass er fertig ist, hole ich ihn aus dem Wasser und trage ihn ins Esszimmer. Aber ich habe wohl etwas falsch gemacht. Seine Fühler bewegen sich noch und betasten die Gesichter der Umsitzenden.

Plötzlich ist der Hummer kein Hummer mehr, sondern mein eigenes Hirn. Ich habe es mir herausgenommen und zubereitet und bin ganz sicher, dass es nachwächst. Wie komisch, dass es auch Fühler hat. Bilder aus alten Frankensteinfilmen sausen vorbei. Leider auch Bilder aus den Büchern meiner Mutter, die in ihrer feministischen Phase alles von Frida Kahlo sammelte. Eines ihrer Selbstporträts zeigt die Malerin im Bett. Aus ihrem Bauch wachsen Nabelschnüre, an denen eine Schnecke, ein Embryo und ein Beckenknochen hängen. In meinem Traum hängt außerdem der Hummer dran.

Ich wache auf, weil es so wackelt. Das kommt von meinem Lachanfall. Der Kalauer ist nicht mehr zu vermeiden: Freud hätte seine helle Freude an mir gehabt. Mein Nebenan schläft jetzt sanft, ich wecke ihn trotzdem auf. Ich muss ihm den Traum zurückgeben. SUSANNE MESSMER