: berliner szenen Hast du dir wehgetan?
Weißes Zeug
Als ich morgens aus dem Burger trete, ist alles voll mit weißem Zeug. Auch in der Luft. Das Zeug ist kalt und nass, und wenn man es anfasst, schmilzt es. Der schwarze Mann, der nach mir aus der Tür kommt, juchzt vor Begeisterung und jubelt in sein Handy. Was für ein wahnsinniges Naturschauspiel!
Vor wenigen Jahren hätte man noch lapidar gesagt: „Na und? Es ist Winter. Es schneit.“ Danach wäre man wieder zur Tagesordnung übergegangen: Abgase in die Luft blasen, schubkarrenweise FCKW in den Wald schütten, Ozonloch vergrößern. Die Zeiten haben sich geändert.
Ich schließe mein Rad los und fahre in Schlangenlinien die Rosa-Luxemburg-Straße runter. Ich sehe nichts: Komisch, dass bei Brillenträgern die Niederschläge immer von vorn kommen. Ist auch das „Murphy’s Gesetz“? Ein Glück, dass mein Licht nicht geht und die Polizei mich so wenig sehen kann wie ich sie. Ich bin nämlich nicht nur vom Naturwunder beschwingt, sondern auch vom Bier. Nach der Veranstaltung hänge ich oft bis in die Puppen rum und nehme mit jedem Bier sackartigere Konsistenz an. Ich tanze ja noch nicht mal – warum bleibe ich bloß immer so lange? Wegen des Freibiers oder der Kollegen? Wegen der vielen putzigen kleinen Mädchen? Nein!?! Deshalb schon gar nicht. Ich glaube, ich muss jetzt unbedingt der besten Frau der Welt hier und auf der Stelle und um drei Uhr morgens eine SMS schicken: „DA WIRSTE ECHT BEKLOPPT. ALLES WEIß. SCHON 7 MAL HINGEFALLEN. GEIL!“
Hast du dir wehgetan, fragen die Leute, die an der Haltestelle auf den Nachtbus warten. Ich verneine, rapple mich auf und klopfe den Schnee ab. Dann mache ich aus der 7 eine 8 und schicke die Nachricht ab. Da wird sie sich freuen. ULI HANNEMANN