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Archiv-Artikel

Berlingeschichten

Tod in Wilmersdorf

Es bedarf schon einer gehörigen Portion Mut oder Starrsinn, sich ausgerechnet das Berliner Stadtviertel Wilmersdorf – im Kern des ehemaligen Westberlins – als Schauplatz für einen Krimi auszusuchen, und nicht etwa Berlin-Mitte oder Prenzlauer Berg, wo der Großstadt-Hype zelebriert wird. Oder man muss Außenseiter, Fremder sein, wie der Schweizer Autor Sam Jaun, um den Charme des vernachlässigten, miefigen Kiezes aufzuspüren, von dem auch heute noch Berliner wenig mehr kennen als den Refrain von den Wilmersdorfer Witwen.

„Die Zeit hat kein Rad“ ist der vierte Kriminalroman dieses Autors, der zwischen Berlin und Bern pendelt und dessen Krimis mit zahlreichen literarischen Preisen ausgezeichnet wurden. Bewegte sich bislang Privatdetektiv Keller in seiner Heimatstadt Biel, macht er sich nun in die Metropole auf, um den angeblichen Selbstmord seiner Patentochter Lisbeth aufzuklären. In Berlin ergatterte sie einen Studienplatz für Schauspiel an der UdK, wo Keller selbst einst Kunst studierte. Das Erste, was ihn bei seiner Ankunft in Lisbeths Wohnung schräg anblickt, sind zwei in den Spiegelschrank gekratzte Masken von Menschenkatzen; aus der der Frau schauen ihn Lisbeths Augen an. Wer aber ist der Mann?

Wenngleich es Peter Keller mit seiner eher helvetischen Gemütlichkeit fern läge, den Menschen in Lisbeths Umfeld die Masken vom Antlitz zu reißen, geht es ihm doch Schritt für Schritt um Demaskierung. Denn im spießbürgerlichen Wilmersdorf haben all die frustrierten Mittvierziger und vermeintlich jung gebliebenen Greise so manche Leiche im Keller.

Dieses Sittengemälde bourgeoiser Dekadenz endet schließlich in einem furiosen Finale – das die mäandernde Handlung im Vorfeld entschuldigt – mit noch mehr Leichen. Peter Keller geht es allerdings weniger um die Auflösung der Morde, sondern vielmehr um die Entlarvung scheinheiliger Maskeraden, wenngleich dies für einige tödlich endet. ALICE GRÜNFELDER

Sam Jaun: „Die Zeit kennt kein Rad“. Muri (bei Bern), Cosmos Verlag, 2004. 266 Seiten, 24 €. Der Autor stellt seinen Kriminalroman am Mittwoch, 9. Februar 2005, 20 Uhr an der Akademie der Künste in Berlin (Hanseatenweg 10) vor.