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Archiv-Artikel

Schubidu und Schalala

Thailands Musikindustrie ist eine der größten, ausdifferenziertesten und aufregendsten in ganz Asien. Doch völlig egal, ob es sich um Pop, Rock, HipHop oder den Trend der Stunde, „Indie“, handelt: In diesem supersonnigen Land gehorcht einfach alles dem Gesetz der lieblichen Melodie. Ein Reisebericht

„Aggressionen rauslassen ist eine Kulturtechnik, die sich noch nicht bis nach Thailand herumgesprochen hat“, sagt ein Musiker und Labelboss

VON SUSANNE MESSMER

Der erste Weg führt in eine Filiale von Tower Records: Hier wird man bestimmt einen Verbündeten finden, einen Plattenverkäufer, der jetzt, am Vormittag, seine Kunden gern CDs durchhören lässt. Er sieht geduldig aus. Das muss er auch sein, denn es gilt, ein buntes Paket zu erwerben: Ein bisschen klassische Musik, etwas Volksmusik, wie sie die Älteren hören. Der Plattenverkäufer weiß, was gerade los ist, und schafft fröhlich heran. Auch Thaipop und Thairock bringt er, HipHop und Hardcore – alles Musik, die beim ersten Hören nur in der Instrumentierung ihrem Segment gehorcht, die aber das Genre dem Gesetz der lieblichen Melodie unterordnet.

Schließlich könnte es kniffliger werden. Doch der Plattenverkäufer lächelt nur souverän, als die Frage nach „Indie“ kommt, nach dieser Musik, die in Thailand seit ein paar Jahren jeder will, Platten von kleinen Bands bei kleinen Labels, die Größeres wagen als die groben Muster: Auch Indie hat er jede Menge. Doch egal, was er hinlegt, Minimal oder Elektropunk, Lo-Fi, Speed Metal oder Gothic – es klingt meist nur ein paar Takte lang gefährlich oder improvisiert. In den nächsten paar Sekunden lösen sich selbst noch die schiefsten Lieder in Wohlgefallen auf und werden ansteckend eingängig. Liegt es am Plattenladen? Liegt es an den Erwartungshaltungen des Westlers, dass er nur Melodien erkennt und kaum Experimente?

Um das herauszufinden, geht es bepackt mit dicken Tüten weiter zum ersten Termin. Die Straße führt durch ein schickes Villenviertel bis vor die Tore eines bunt verwucherten Gartens. Hier wird man von einer Hundemeute begrüßt, durch die sich ein sympathischer Mitdreißiger schiebt. Nakarin Teerapenun ist Mitglied von T-Bone, einer der beliebtesten Skabands des Landes – und außerdem lenkt er von hier aus Hualampong Riddim, das „Indie“-Label mit der größten Credibility in der Stadt. Aber zunächst einmal entschuldigt sich Nakarin für die Hunde und bittet ins Wohnzimmer. Es gibt Tee und Geschenke: Das ganze Programm wird aus dem Schrank geholt und mit dem in den Tüten verglichen. Einiges ist schon dabei, anderes kommt dazu – und die Frage, ob auch diese Musik so beschwingt sei, kontert Nakarin mit Gelächter.

„Aggressionen rauslassen ist eine Kulturtechnik, die sich noch nicht wirklich bis nach Thailand herumgesprochen hat“, meint der Musiker und Labelboss. „Und ich bezweifle, dass sie je hier ankommen wird“, sagt er. Jugendkultur hat hier also nichts mit Rebellion zu tun? „Weniger“, sagt er. „Jugendliche hier kennen kaum Generationskonflikte und Gesellschaftskritik. Meistens wollen sie sich in ihrer Freizeit einfach amüsieren. Daran ist doch auch nichts verkehrt, oder?“, fragt er zurück und verzieht dabei verschmitzt sein Gesicht. Man kann ihn sich genau auf der Bühne vorstellen, wie er Witze erzählt und das Publikum in den unangestrengten, bekifften Widerhall seiner Musik verwickelt. Buddha war ein Schwarzer, das sieht man schon an seinen Locken, und Reggae wurde für Thailand erschaffen.

Aber zurück zur Wirklichkeit: Nakarin gründete 1998 sein Label, als der Soundtrack zur Demokratiebewegung, die so genannten Lieder des Lebens, überflüssig geworden und als auch die Wirtschaftskrise der Neunziger überwunden war. Er berichtet, dass ihn die Mode der Stunde, alles zu kaufen, was sich „Indie“ nennt, nervt. Angelockt vom riesigen Markt – abgesehen von Japan ist er der größte in Asien – kamen die Global Player ins Land: Sony, BMG, Universal. Seither verbraten sie alles, was neu ist, als Trend. Nakarin weiß: Wie besessen versuchen sie immer wieder, internationale Standards anzulegen, damit es sich weltweit verkaufen werde. Dabei funktioniert Thaipop, sagt Nakarin, wie ein selbstreferentielles Paralleluniversum. Den Westen braucht es schon lange nur noch wenig. Seit den Dreißigerjahren – seit es das Radio gibt – werden thailändische Melodien in westlichen Stil gegossen und nur noch selten, bei der Volksmusik etwa, erinnern seltsame Halbtöne an die andere Tonleiter der klassischen thailändischen Musik. Und spätestens seit den Achtzigerjahren gibt es so viel Thaipop, dass man nicht mehr über den Tellerrand lauschen muss.

Abgesehen vom Jammern über die profitgierigen Großfirmen wirkt Nakarin glücklich hier. Es gibt viele Bands, viele Labels, Fat Radio, einen Radiosender, der die Szene unterstützt. Das Einzige, was wirklich zu beanstanden wäre: Viel zu selten kann man sich in Bangkok Konzerte ansehen – der letzte Veranstaltungsort, der dies zu ändern versuchte, das About Café, hat kürzlich wieder zugemacht. Thailands Jugend geht abends lieber auf den Nachtmärkten essen, fährt ein paar Runden, parkt dann das Moped auf dem Bürgersteig, raucht eine und schaut den anderen nach.

Am nächsten sonnigen Nachmittag muss der Taxifahrer einen weit abgelegenen Campus finden: Wenn es keine richtigen Konzerte gibt, muss man die Bands eben suchen gehen – ganz egal, wo sie spielen. Im Innenhof einer Uni findet eine Werbeveranstaltung für Software statt – und Small Room, eine weitere kleine Plattenfirma, hat ihre Band Stylish Nonsense eingeschmuggelt: Studentinnen mit züchtigen Zöpfen haben sich auf weiße Klappstühle verteilt, starren Richtung Tribüne. Endlich tauchen zwei Zwanzigjährige auf – einer von ihnen trägt Zahnspange, der andere dicke Brille. Sie stellen sich an ihre Keyboards und legen los mit ihren verzwackten Stücken. Nach dem letzten Song, der doch wieder in einen Refrain mündet, beginnen die Studentinnen zu applaudieren, die beiden Musiker strahlen und sind bereit für das Gespräch.

Yuthana Kalambaheti und Wannarit Pongprayoon haben nicht nur vor ein paar Jahren ihre Band gegründet, sie betreiben seit Kurzem auch eins der aufregendsten Labels der Stadt: Panda Records. Anders als viele Bands haben sie dieses nicht gegründet, um ihre eigenen Platte herauszubringen: „Wir wollen Freunde fördern“, sagen sie. Bei der Auswahl ihres Programms, kommt es ihnen darauf an, dass man auch nach dem hundertsten Hören noch etwas Neues im Song entdecken können muss. Bestes Beispiel dafür ist ihre neueste Eroberung Beargarden, die junge Singer-Songwriterin Somsiri June Sangkaew, die sich irgendwo zwischen der kindlichen Stimme einer Jane Birkin, dem Easy Listening eines Henri Mancini und der verspielten Konzeptmusik der Chicks On Speed bewegt, zwischen poetischen Breaks, Bläsersätzen und – wer hätte es gedacht – entwaffnenden Melodien.

Inzwischen hat sich ein Musiker zu uns gesellt, der sich gleich nach Stylish Nonsense mit seiner Gitarre auf die Bühne stellte: Es ist Penguin Villa, der ebenfalls Platten bei Small Room veröffentlicht und zarte Songs singt: Mit viel Schubidu und Schalala. Auf dem Weg zum Büro von Small Room erzählen die drei: Eigentlich hören sie gar nicht nur „Indie“, sondern auch Musik für den Mainstream. Sie wollen nicht anders sein als andere. Sie wollen einfach nur schöne Musik machen und ihre kuschelige Szene pflegen.

Small Room wurde 1999 gegründet und nach dem ersten Büro benannt, einem winzigen Kämmerchen, erzählt Arunee Anantakul. Auf ihrem Kärtchen steht „Marketing Manager“, eigentlich ist sie aber nur die Freundin von einem der drei Chefs von Small Room und arbeitet wie viele hier ohne Gehalt. Small Room ist das einzige Label Thailands, das manchen in Deutschland bekannt sein könnte: Die zweite Compilation vor vier Jahren wurde von Christian Kracht, der gerade nach Bangkok gezogen war, protegiert und nach Europa gebracht. Diese Platte machte Small Room in Thailand berühmt – inzwischen residieren sie in einem mondänen Büro, das dem Set eines alten James-Bond-Films ähnelt.

Wie sie hier zusammensitzen, diese Musiker, diese Kinder aus der Mittel- und Oberschicht, wie sie sich über ihre Begeisterung für den neuen Stil von Gwen Stefani unterhalten und über die neue Single von Destiny’s Child: In ihrer Furchtlosigkeit, Grenzen der Distinktion zu überschreiten, erscheinen sie als die geschmacksichersten Menschen auf der Welt. Jedenfalls versteht man plötzlich den Snob Christian Kracht, der gern betont, dass es in Bangkok nie einen Graben zwischen Avantgarde und Kommerz gegeben hat.

Die Zeit in einer lauten, vollen und schnellen Stadt wie Bangkok vergeht schnell. Am Ende unserer Woche ist die halbe Stadt in Aufruhr. Bakery, das größte „Indie“-Label der Stadt, das sich vor ein paar Jahren von BMG kaufen ließ, feiert seinen zehnten Geburtstag. Außerdem haben zwei Gründungsmitglieder kurz vorm Festival das Label verlassen: Die einen munkeln, weil es ihnen zu seicht wurde, die anderen, dass sie die Kartenvorverkäufe anheizen wollten. Schon Stunden vorher wird im Radio Stau vermeldet, Zehntausende sind gekommen: Endlose Scharen von ganz normalen jungen Leuten in Jeans und T-Shirt, aufgekratzte Mädchen, zapplige Jungs. Fast alle Bands und Musiker des Labels sind angekündigt.

Schon nach den ersten Stunden des Abends steht fest: Ganz egal, ob sich der Sänger Trai Bhumiratna wie ein echtes Schlagersternchen aufführt oder ob sich eine erfolgreiche Band wie Modern Dog so introvertiert gebärdet wie eine ganz typische britische Band mit Depressionen und Hautproblemen: Sie alle ähneln sich, indem sie all das, was sie unterscheidet, in der Melodie auffangen. Dies scheint auch den vielen jungen Thailändern hier zu gefallen – jedenfalls machen sie keine Unterschiede, was das Auswendiglernen der Texte angeht. Bei allen Liedern wird aus vollem Halse mitgesungen. Ein paar Wochen vor der Flutkatastrophe fühlt sich Thailand an, als stünde alles still. Als wäre dies der sorgenfreiste Ort der Welt.