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Archiv-Artikel

Grundrechte außer Acht gelassen

TERRORISMUSVERDACHT Gericht erklärt spektakuläre Polizeiaktion für rechtswidrig: Für spektakuläre Öffentlichkeitsfahndung nach vermeintlichen Terroristen habe kein Anlass bestanden

Nach drei Tagen war aus dem vermeintlichen Terror- ein Fehlalarm geworden

Eine von der Hamburger Polizei ausgelöste bundesweite Öffentlichkeitsfahndung nach drei mutmaßlichen Terrorverdächtigen war rechtswidrig. Das hat am Donnerstag das Hamburgische Oberverwaltungsgericht entschieden. „Die Polizei ist nicht davon ausgegangen, dass eine konkrete unmittelbare Gefahr vorliegt“, sagte Richter Joachim Pradel. Ein solcher Grundrechtseingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht zur Gefahrenerforschung ist laut Pradel nach den „Entscheidungsmuster“ des Bundesverfassungsgericht unzulässig.

Anlass war der Hinweis eines Ägypters, der Ende August 2005 an einem Hamburger S-Bahnhof ein Gespräch zwischen drei vermeintlichen Arabern belauscht haben wollte. Darin habe es geheißen, dass die Männer „morgen als Helden vor Allah stehen“ würden. Die drei Terrorverdächtigen zwischen 21 und 25 Jahren waren jedoch Tschetschenen, die gar nicht Arabisch sprachen.

Die Polizei wertete Überwachungsvideos und Handy-Verbindungen aus. Am nächsten Abend wurde eine medienwirksame Großfahndung eingeleitet, ohne einen Richter einzuschalten. „Da waren bereits zwei Rush-hours vergangen und die Polizei ist aus der Strafprozessordnung geflohen“, sagt Dieter Magsam, Anwalt eines der drei damaligen Verdächtigen. Insgesamt 1.000 Polizisten schwärmten aus und errichteten Straßensperren, 255 Personen wurden überprüft, Wohnungen durchsucht. Fotos der drei Tschetschenen zeigte sogar die „Tagesschau“ – vorgeblich, um sie als Zeugen ausfindig zu machen und die Aussage des Ägypters überprüfen zu können.

Die Beschuldigten stellten sich schließlich der Polizei – nach drei Tagen war aus dem vermeintlichen Terror- ein Fehlalarm geworden. Indes hatte die Fahndung dann bereits die russischen Sicherheitsbehörden auf den Plan gerufen, was Folgen für die Familien der drei hatte.

Sollte der „Polizeiführung der Unterscheid zwischen Gefahrenabwehr und -erforschung nicht klar sein“, sagte jetzt Richter Pradel, müsse man diese „Lücke im Polizeirecht dringend durch überarbeitete Normen schließen“. KAI VON APPEN