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Archiv-Artikel

Wer Arbeitslosengeld bekommt, muss fix sein

Bis heute müssen die Widersprüche gegen Bescheide der Arbeitsagenturen aus dem letzten Jahr eingelegt sein

BERLIN taz ■ Als Georg Böhle den Bescheid seiner Arbeitsagentur erhielt, fand er ihn zunächst unauffällig: Seit Januar ist der 54-jährige Grafikdesigner arbeitslos – nun soll er für 540 Tage Arbeitslosengeld I erhalten. Aber dann begann sich Böhle zu wundern: Die Agentur ging davon aus, dass er seinen 55. Geburtstag schon hinter sich hatte – der ist aber erst im August.

Er kämpfte sich durch Merkblätter und verstand: Die Agentur tat so, als sei bereits Februar 2006. Dann endet der Vertrauensschutz, nach dem ältere Arbeitslose bis zu 780 Tage Arbeitslosengeld I bekommen. Der Abstieg ins Arbeitslosengeld II beginnt dann nach 540 Tagen.

Böhle beschwerte sich erfolgreich, bekommt nun 780 Tage lang Arbeitslosengeld I. Er befürchtet aber, dass viele den Widerspruch versäumen. „Im Trubel um das Arbeitslosengeld II gehen andere Gesetzesänderungen unter.“ Die Widerrufsfrist gegen die Bescheide aus dem letzten Jahr geht nur bis heute. Bei Bescheiden vom Januar haben Betroffene einen Monat Zeit – von dem Tag an, an dem das Schreiben im Briefkasten lag.

Bisher ist unklar, wie viele Arbeitslose Widerspruch angemeldet haben. Die Erwerbslosen-Initiativen nehmen „eine Fehlerquote von bis zu 90 Prozent“ bei den Bescheiden an. Die Bundesagentur hält das für übertrieben: Bis zum Jahresende seien nur 75.000 Widersprüche eingegangen. Die Januar-Zahlen würden noch erhoben, sagte ein Sprecher. Auch bei den Sozialgerichten sind bundesweit bislang nur um die 1.000 Klagen anhängig.

Das wundert die Erwerbsloseninitiativen nicht. „Die Bescheide sind für Betroffene und Beratungsstellen nicht nachvollziehbar“, moniert Harald Thomé von der Initiative tacheles. Dort hat man die häufigsten Berechnungsfehler beim Arbeitslosengeld II gesammelt: Oft wird das Kindergeld doppelt angerechnet – beim Kindergeldberechtigten und bei den Kindern. Die Familien verlieren dadurch 154 Euro. Bei den Unterkunftskosten würden nicht immer die tatsächlichen Mietkosten angesetzt. Wassergeld und Müllgebühren müssten berücksichtigt werden. Auch bei der Ermittlung des anzurechnenden Partnerschaftseinkommens gibt es Fehler: Laut Gesetz gibt es Freibeträge für bestimmte Ausgaben. Dazu gehören eine Versicherungspauschale von 30 Euro, eine Werbungskostenpauschale von 15,33 Euro, aber auch Aufwendungen für die Riester-Rente, für Gewerkschaftsbeiträge oder eine Kfz-Haftpflichtversicherung. „In vielen Bescheiden wird keine Einkommensbereinigung durchgeführt“, beklagt Thomé.

Häufig werden die Beratungsstellen auch mit der „Stiefkinder-Konstellation“ konfrontiert: Bei getrennt lebenden Eltern gab es früher oft „ergänzende Sozialhilfe“, wenn der leibliche Vater den Unterhalt fürs Kind nicht zahlen konnte. Das hat Hartz IV geändert: Jetzt muss der neue Partner der Mutter einspringen, falls deren Einkommen fürs Kind nicht reicht – er gehört zur „Bedarfsgemeinschaft“. Davon seien „eine halbe Million Personen“ betroffen, schätzen die Erwerbsloseninitiativen. „Da werden sich noch viele Paare trennen“, sagt Thomé. Und sei es nur pro forma. ULRIKE HERRMANN