: EU – die Macht im Norden
EUROPAPOLITIK So manche Entscheidung in der europäischen Politik betrifft speziell die norddeutschen Bundesländer. Über die Richtlinien und Verordnungen aus Brüssel wird kaum öffentlich debattiert: Weil sie auf den ersten Blick so langweilen
Mehr als 8.000 Verordnungen und über 2.000 Richtlinien umfasst das geltende EU-Recht, hat der Rechtswissenschaftler Tilman Hoppe ausgerechnet. Er kommt zu dem Schluss: Das Europäische Recht hatte Ende vergangenen Jahres einen Anteil von rund 80 Prozent an den in Deutschland geltenden Gesetzen. Nur rund ein Fünftel der Rechtsakte wird noch von Bund (15 Prozent) und Ländern (4 Prozent) verabschiedet.
■ Das Initiativrecht für neue Gesetze hat in der EU die Kommission. Sie veröffentlich jeden Herbst das Arbeitsprogramm für das folgende Jahr.
■ Die Landesvertreter der fünf Bundesländer des Nordens, die in Brüssel als Schnittstelle zwischen ihren Ländern und der EU arbeiten, ordnen die durch die Kommission angekündigten Gesetzesinitiativen nach Sachgebieten.
■ Sie überreichen den Landesregierungen eine gemeinsame Zusammenfassung, in der die für den Norden relevanten Punkte herausgearbeitet sind.
VON HELGE SCHWIERTZ
Die Mehrheit der zur Europawahl aufgestellten KandidatInnen versucht zu vermitteln, dass sie im Europaparlament vor allem die Interessen ihres Bundeslandes vertreten wollen. In den öffentlichen Debatten bleibt den umworbenen WählerInen allerdings häufig unklar, was die EU eigentlich vor der eigenen Haustür genau bewirkt. Die WahlkämpferInnen reden lieber vom historischen Friedensprojekt, notwendiger Zusammenarbeit im internationalen Wettbewerb und, neuerdings, vom „sozialen Europa“.
Ein großer Teil des europäischen Rechts regelt Details der Fischerei und Agrarwirtschaft. Abseits von Kuriositäten wie etwa dem Krümmungsgrad der Salatgurken betreffen viele Regelungen dennoch die Mehrheit der BürgerInnen – und einige sogar speziell die im Norden der Republik.
Naturschutz
Für Schleswig-Holstein sei die europäische Meerespolitik besonders wichtig, sagt Astrid Höfs (SPD), Vorsitzende des Europaausschusses im Kieler Landtag. Im „Grünbuch Meerespolitik“ der EU wird der schonende Umgang mit den Meeren vorgegeben. Umweltverbände kritisieren, dass in der Umsetzung dieser Leitlinien die Ökologie nur dann beachtet werde, wenn sie auch ökonomische Vorteile mit sich bringe, beispielsweise für Tourismus und Fischerei.
„Ohne die Richtlinien der EU sähe es mit dem Naturschutz erheblich schlechter aus“, sagt Ingo Ludwichowski vom Nabu Schleswig-Holstein und hat dabei insbesondere die Richtlinie Flora-Fauna-Habitat (FFH) im Blick. Sie soll die Lebensräume bedrohter Tier- und Pflanzenarten schützen: „Natura 2000“ heißt das europaweite Netzwerk besonderer Schutzgebiete. Dieser europäische Rahmen stelle rechtliche Instrumente zu Verfügung, um die Belange des Naturschutzes durchzusetzen, sagt Ludwichowski. Und: Die Leitlinien würden in den Planungen von Wirtschaft und Politik inzwischen zumindest berücksichtigt.
Ausnahmen gibt es auch hierbei: Für die Erweiterung des Airbus-Werkes in Hamburg etwa durfte ein Teil des FFH-Biotops Mühlenberger Loch zugekippt werden.
Schiffsverkehr
Welche Umweltbedrohung vom Schiffsverkehr ausgeht, machten nicht erst die Ölkatastrophen deutlich, die von den Tankern „Erika“ und „Prestige“ vor der spanischen und der französischen Küste ausgelöst wurden.
Durch das Richtlinienpaket „Erika III“ zur Seeverkehrssicherheit, das am 11. März 2009 im EU-Parlament angenommen wurde, werden unter anderem die Sicherheitskontrollen in den Häfen verschärft und die Sicherheitsanforderungen erhöht, damit gefährliche Schiffe schneller aus dem Verkehr gezogen werden können.
Häfen
Dass die Europa-Abgeordneten mittlerweile auch Regelung verhindern können, hat sich beim Thema Liberalisierung des Hafens gezeigt: Das „Port Package 2“, das die EU-Kommission vorgeschlagen hatte, wurde 2006 mit 532 zu 120 Stimmen abgelehnt.
Ziel der Richtlinie war es, den Hafenwettbewerb zu verschärfen. Die Konzessionen für das Lotsen, Schleppen oder den Güterumschlag wären neu und auf begrenzte Zeit vergeben worden. Außerdem wäre den teilweise schlecht bezahlten Schiffsbesatzungen erlaubt worden, zu Lasten der tariflich abgesicherten Hafenarbeiter ihre Schiffe selbst zu entladen. „Hamburg hätte die Entwicklung des Hafens nicht mehr steuern können. Auch Arbeitsplätze wären in Gefahr gewesen“, sagt Günter Frank, Europapolitiker der Hamburger SPD. Der CDU-Europaparlamentarier Georg Jarzembowski war einer der wenigen, die damals für die Hafenrichtlinie eintraten.
… und Seilbahnen
Dass die Regelungen der EU nicht alle Regionen gleichermaßen betreffen, hat die Richtlinie zur Vereinheitlichung der Seilbahn-Vorschriften gezeigt: Sie musste auch in den erhebungsarmen Nordländern umgesetzt werden. Schuld sind daran aber keine „Eurokraten“: Der Nahverkehr ist, dem deutschen Föderalismus sei Dank, Sache der Bundesländer.