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Archiv-Artikel

Browns Debakel

SCHWUND Nach Ministerrücktritten und einem Wahldesaster wird die Luft für den Premier immer dünner, aber er macht weiter

Brown versuchte gestern, mit einer Kabinettsumbildung den Hiobsbotschaften etwas entgegen- zusetzen

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Für den britischen Premierminister Gordon Brown begann der gestrige Tag, wie der vorgestrige geendet hatte: mit dem Rücktritt eines Ministers. Diesmal war es Verteidigungsminister John Hutton. Er gab nicht nur seinen Posten auf, sondern will bei den nächsten Parlamentswahlen aus der Politik aussteigen. Es war der vierte Kabinettsrücktritt innerhalb von vier Tagen. Und es sollte nicht der einzige Rücktritt bleiben: Am Nachmittag folgte Verkehrsminister Geoff Hoon, dann Tony McNulty, Staatssekretär im Arbeitsministerium, am Abend schließlich Europastaatssekretärin Caroline Flint.

Im Laufe des Tages versuchte Brown, mit einer Kabinettsumbildung den Hiobsbotschaften etwas entgegenzusetzen. Es war sein letzter Versuch, ein wenig seiner verlorenen Autorität zurückzugewinnen. Doch selbst das ist ihm nicht gelungen, da er seine ursprünglichen Pläne nicht durchsetzen konnte. Finanzminister Alistair Darling, der in den Spesenskandal verwickelt ist und den Brown mit einem seiner Vertrauten ersetzen wollte, erklärte Brown, dass ein anderer Job für ihn nicht in Frage käme, und drohte mit Rücktritt. Brown beließ ihn im Amt.

Außenminister David Miliband, Justizminister Jack Straw und Wirtschaftsminister Peter Mandelson bleiben auch auf ihren Posten. Nur eine Schlüsselposition, das Innenministerium, das durch Smiths Rücktritt frei geworden ist, konnte Brown neu besetzen: Es fällt an den bisherigen Gesundheitsminister Alan Johnson, der als aussichtsreichster Kandidat für die Brown-Nachfolge gehandelt wird.

Am Donnerstagabend hatte Arbeitsminister James Purnell dem Premierminister einen schweren Schlag versetzt. Im Gegensatz zu Hutton, der familiäre Gründe für seine Entscheidung angab, forderte Purnell in seinem überraschenden Rücktrittsbrief Brown auf, sein Amt niederzulegen. Sonst wäre ein Tory-Sieg bei den nächsten Parlamentswahlen viel wahrscheinlicher.

Zuvor hatte Brown bereits die Innenministerin Jacqui Smith und die Regionen-Ministerin Hazel Blears verloren. Beide sind tief in den Spesenskandal verstrickt, bei dem sich Abgeordnete aller Parteien durch abenteuerliche und zum Teil betrügerische Abrechnungen bereichert haben. Scotland Yard gab gestern allerdings bekannt, dass Strafverfolgungen höchst unwahrscheinlich seien.

Blears’ Rücktritt geriet zur Schlammschlacht. Die ehemalige Ministerin habe nicht nur die Kapitalertragsteuer auf ein Haus hinterzogen, das sie mit Steuergeldern renoviert hatte, sondern auf zwei, berichtete der Daily Telegraph am nächsten Tag. Diese Information könne das Blatt nur von Brown haben, da sie beim Ethikausschuss des Kabinetts unter Verschluss lag, behaupten Blears’ Vertraute. „Es ist eine Drohung“, sagte ein Staatssekretär.

Die Luft wird immer dünner für Brown, zumal die Kommunalwahlen in 34 englischen Wahlkreisen, die am Donnerstag stattfanden, zum erwarteten Debakel für die Labour Party wurden. Sie kam nach ersten Prognosen lediglich auf 23 Prozent, das schlechteste Ergebnis ihrer Geschichte. Die Tories erhielten 38, die Liberalen Demokraten 28 Prozent. Besonders deprimierend für Labour ist der Verlust der Kontrolle über drei industriell geprägte Gebiete: Lancashire, Derbyshire und Nottinghamshire. Das letzte Mal verlor Labour diese Grafschaften 1977 – und prompt auch die darauf folgenden Parlamentswahlen.

Forderungen nach seinem Rücktritt wies Brown gestern Nachmittag zurück. „Wenn ich nicht denken würde, dass ich die richtige Person an der Spitze des richtigen Teams wäre, würde ich nicht hier stehen“, sagte er auf einer Pressekonferenz. Es gehe ihm um das Land, nicht um die Partei, wies er seine parteiinternen Kritiker in die Schranken.

Aber in der Partei rumort es. Sieben Labour-Unterbänkler haben einen Brief in Umlauf gebracht, in dem Brown zum Rücktritt aufgefordert wird. Die Dissidenten sind zuversichtlich, dass sie die 80 Unterschriften, die für eine Neuwahl des Labour-Chefs nötig sind, bis zur nächsten Fraktionssitzung am Montag zusammenbekommen. Es hängt davon ab, wie die Europawahlen ausgingen. Das Ergebnis wird am Sonntagabend bekannt gegeben, ein weiteres Debakel für Labour gilt als sicher.