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Archiv-Artikel

Danse Macabre

„Das Wundermädchen von Berlin“: Deutsche Revolutionen sind selten zu retten, auch nicht durch Wunder. Das kann man im Gorki Theater mit einem lang vergessenen Vormärz-Schauermärchen von Hanns Heinz Ewers wieder erleben

Aus Paris wird der Ausbruch einer Revolution gemeldet, und das Volk in einem Berliner Ballhaus gerät außer Rand und Band. Sogar in München hat man den König samt seiner Konkubine davongejagt. Und Garibaldi ist in Rom eingezogen! „Aber Berlin? – Wo bleibt Berlin?“, fragt einer der Gäste verlegen. „Wir werden schon zeigen, was wir können!“, brüllt ein anderer und setzt dazu eine echte Berliner Weltstadtmiene auf.

Aber Berlin bleibt Berlin, auch in dieser theaterhistorischen Ausgrabung des Gorki Theaters, und die Revolution verläuft im märkischen Sande. Schon bald liegen die Märzgefallenen aufgereiht vor dem Brandenburger Tor. Luise, das Mädchen aus dem Volk, hat das alles kommen sehen und wollte den Studenten Hanns Schaffganz lieber lebend in ihrem Bett als tot auf der Barrikade. Am Ende ist Schaffganz trotz aller List so tot wie die Revolution. Dies ungefähr ist die Geschichte von Hanns Heinz Ewers’ Vormärz-Schauerdrama „Das Wundermädchen von Berlin“.

Ewers, der Nachwelt am ehesten noch durch seinen Roman „Alraune“ in Erinnerung, hat es 1912 geschrieben und, der Legende nach, Max Reinhardt zur Uraufführung angeboten. Der nahm es aber nicht, wahrscheinlich weil das Stück zu viel auf einmal wollte: ein bisschen „Lulu“ sein, eine Spur „Heilige Johanna“, dazu eine Prise „Dantons Tod“, Berliner Milieustück und Schauermärchen. Jedenfalls ist das Drama in Berlin nie gespielt worden. Nun hat es Alexander Lang für das Maxim Gorki Theater ausgegraben. Die Kombination Lang/Ewers, also zwei Figuren, die sozusagen zwei Epochen überblicken, nämlich Lang die späte DDR und das Deutschland nach 1989 und Ewers die Vollendung revolutionärer Einheitsträume von 1848 in Bismarcks Deutschem Reich, das hätte durchaus Potenzial geboten für politisches Volkstheater der spannenderen Sorte. Doch leider beschränkt sich Lang darauf, mit spitzer Feder bunte Karikaturen zu zeichnen: von der rechtschaffenen, frommen Bürgermutter Braun (Monika Lennartz) über aufgeblasene Professoren, dämliche Studenten, jämmerliche Friedhofsweiber, einen fiesen adeligen Junker mit Gamaschen und Pistole (Thorsten Merten) bis zu einer schrillen Gräfin (Adriana Altaras), die sich in George-Sand-Pose gefällt. All das ist über weite Strecken hübsch anzusehen, bloß fragt man sich manchmal: wozu? Und erhält darauf keine Antwort.

Zuerst sind wir bei dem Wundermädchen daheim, dem Stephan Fernau ein grottenähnliches Zuhause gebaut hat. Gruselige nackte Arme mit Bittschriften ragen ins Zimmer. Auf einem Stuhl steht blumenbekränzt mit weißem Kleid die Kindfrau Luise, von drei ältlichen Professoren geprüft und begrabscht. Drei Studenten kommen dazu, schwärmen brav von der Revolte und ärgern sich, dass das Mädchen im Volk zu viele revolutionäre Energien an ihre Wunder bindet. Lang lässt sie ein bisschen marschieren und im Chor ihre zackigen Sprüche klopfen. Im nächsten Akt steigen wir dann in die Berliner Katakomben hinab, wo sich die Ärmsten, aber auch konspirierende Liebespaare und Studenten treffen.

Zwischen gruseligen Mumien lässt Ewers sein dramatisches Personal, Adel und revoltierende Studenten, schließlich den Klassenkampf proben. Fast kommt es zum Duell, doch das Wundermädchen wirft sich dazwischen. Im nächsten Akt sehen wir sie als jungfräuliche Hure in einem Berliner Ballhaus wieder, wo Lang zum Danse Makabre aufspielen lässt. Es wird zur Revolution gerufen, doch der junge Revolutionär landet durch List in Luises Bett.

Norman Schenk, der den Studenten Schaffganz spielt, ist ein spröder, eckiger und ganz unromantischer Kerl. In seinen besten Momenten erinnert er daran, dass es kein weiter Weg von den 48er-Corps-Studenten zu den rechtsradikalen Deutschtümlern war. Über allem leuchtet Heike Warmuth als Luise. Aber so richtig schält sich aus der bunten Operette keine Linie und erst recht kein politischer Biss heraus. ESTHER SLEVOGT

Nächste Aufführungen: 4., 15. und 18. Februar, 19.30 Uhr