Der Architekt der DDR

Hermann Henselmann, lange Zeit „Chef-Architekt“ von Ostberlin, ist der wohl bekannteste Baumeister der DDR. Morgen wäre er 100 Jahre geworden. Henselmann entwarf die Stalinallee und das Haus des Lehrers – ein Opportunist im Dienst der Partei?

VON ROLF LAUTENSCHLÄGER

Kurz vor seinem Tod, im Jahr 1995, hatte Hermann Henselmann noch einmal einen ganz starken Auftritt. Man diskutierte damals in Berlin, Leipzig oder Jena über Abrisse von Plattenbauten und anderer ungeliebter Bauwerke des sozialistischen Städtebaus. In allen drei Städten hatte Hermann Henselmann als Architekt gebaut. Mehr noch. Alle Städte waren von dem vermutlich bekanntesten Planer in der DDR in der Nachkriegszeit zu wesentlichen Teilen mit geprägt worden.

Henselmann, lange Zeit auch „Chefarchitekt“ von Ostberlin und Miterbauer der typisierten Wohnprojekte am ehemaligen Leninplatz, geriet deshalb ins Visier der Kritiker. Was dem Architekten aber anscheinend nichts ausmachte. Er habe nichts dagegen, wenn die geschwungenen Zeilen am Leninplatz umgebaut oder fallen würden, ja der ganze Platz ein neues Gesicht erhalten sollte. Die Architektur sei ebenso vergänglich wie das Leben. „Macht’s doch!“, sagte er herausfordernd und grinste.

Natürlich wurde nichts abgerissen. Während andere DDR-Bauwerke geschleift wurden, etwa Münters „Ahornblatt“ oder der Palast der Republik, stehen die Architekturen Henselmanns bis heute. Sie werden restauriert, saniert und umgenutzt, unter Denkmalschutz gestellt und von Kollegen geehrt als gute Exempel konservativer Berliner Bauentwicklung. Der Architekt wusste das – Henselmann war und blieb bis zu seinem Tod 1995 ein schlauer Hund. Jetzt, am 3. Februar 2005, jährt sich sein 100. Geburtstag. Das Land Berlin denkt daran, ihm mit einer Straßenbenennung Reverenz zu erweisen.

Täte Berlin das, würde es mit Sicherheit einen der wichtigen Architekten der DDR ehren, der mehr als Typenbauten hinterlassen hat. Henselmann, 1905 in Roßla (Harz) zur Welt gekommen, studierte an der Handwerker- und Kunstschule in Berlin. Bereits Ende der 1920er-Jahre eröffnete er ein Architekturbüro und baute Einfamilienhäuser (Villa Heinecke, 1932, und Villa Ken-Win, 1931) an der Berliner Peripherie und in der Schweiz – allesamt im Stil der klassischen Moderne und angelehnt an Le Corbusiers radikale Handschrift.

1946 nahm Henselmann in Weimar eine Anstellung an der Staatlichen Hochschule für Baukunst an und trat in die SED ein. 1949 ging der „Aktivist der ersten Stunde“ nach Berlin und schlug der Parteiführung Pläne zum Neuaufbau der stark zerbombten Hauptstadt vor – die aber abgelehnt wurden, weil sein modernistischer Entwurf „nicht dem Empfinden der Arbeiterklasse“ entsprach. Ulbricht gab sich antimodern, antiamerikanisch und prostalinistisch. Hatte sich doch die DDR-Baupolitik 1950 – wie in Berlin Mitte der 1990er-Jahre – hin zur Pflege des konservativen preußischen „Erbes“ gewandelt.

Henselmann reagierte umgehend. Nach wenigen Tagen legte er – gemeinsam mit anderen – der Partei für den Bau der Stalinallee neue Entwürfe in einem vulgärklassizistischen „Zuckerbäckerstil“ vor. Die von Henselmann realisierten Architekturen in der monumentalen städtebaulichen Achse der 1950er-Jahre, die heute an Albert Speer mehr erinnert als an sozialistische Ideale, verrieten dennoch dessen kreatives Gefühl für Raum und bauliche Gestaltungsfähigkeit. Sein „Wohnhaus an der Weberwiese“ (1952), ein kleiner, zurückhaltend klassizistischer Turm mit großzügig entworfenen Wohnungen und Ateliers, ist bis dato ein Spiegel des Baugedankens der DDR jener Zeit und gleichzeitig Chiffre neuer öffentlicher Architektur.

Auch der Straußberger Platz (1954) steht bis heute da als großes Symbol strenger städtebaulicher und zugleich zeitgemäßer verkehrsgerechter Ordnung, mit Türmen als Eingangssituation, dem folgenden Kreisel und einer klaren steinernen Fassung aus öffentlicher und privater Sphäre. Die „erste sozialistische Straße“ – von der aus 1953 der Arbeiteraufstand losbrach – ist unter konservativen Bauideologen noch immer hip. Aldo Rossi nannte sie eines der besten Stadtkonzepte der Nachkriegszeit.

Dem Wandel in der östlichen Städtebaudoktrin um 1960 folgte auch Henselmann, als er im Rahmen des Wettbewerbs zur „sozialistischen Umgestaltung des Zentrums der Hauptstadt der DDR“ den historischen Stadtgrundriss Berlins radikal ausradierte. Sein moderner Entwurf für den „Turm der Signale“ (1959) – ein Fernsehturm am Fuße des Roten Rathauses – ignoriert ebenso den bestehenden Stadtplan wie das „Haus des Lehrers“ samt gläserner Kongresshalle (1964). Für den schnittig-sachlichen Hochhausbau in Leipzig, den „Weisheitszahn“, musste gar die Universitätskirche weichen.

Auch den letzten Paradigmenwechsel in der DDR-Architektur läutete Hermann Henselmann („HH“) mit ein: die industriell gefertigten Haustypen – „zur Rettung der Menschheit“. Doch was in Marzahn als Multiplikation des ewig Gleichen daherkommt, geriet unter Henselmann, wie beim Leninplatz (1970), noch zum narrativen Architekturtyp. Seine Bauten waren nie sprachlos.

Wer „HH“ ehrt, tut aber auch gut daran zu erinnern, dass dem schlauen Hund oft der servile Opportunist voranging. Henselmann hat sich vielfach als Rebell gegeben: wohl um zu verschleiern, dass er in der Nazizeit brave bäuerliche Heimatarchitektur verrichtet und dass er die Moderne mehr als einmal verraten hat. „Ich habe in der Nazizeit gelernt, was ich in der DDR weiterübte: Hakenschlagen“, sagte er kurz vor seinem Tod. Als Absolution kann das nicht durchgehen. Zumal er noch kurz nach dem Fall der Mauer Kollegen beschimpfte, die ihm die Nähe zu Partei und Staat vorwarfen. „Sie tun mir leid“, kanzelte er – ganz Staatsarchitekt der Einheitspartei – sie ab. Da war Henselmann nicht nur ein schlauer, sondern mehr noch der ganz harte Hund.