: Der christdemokratische Machtkampf
NEUKÖLLN Der Stadträtin Vogelsang (CDU) droht die Abwahl. Das wollen Teile ihrer eigenen Fraktion
Am 22. November stand Stefanie Vogelsang ganz oben. Gerade hatte ein CDU-Parteitag sie auf einen ziemlich sicheren Listenplatz für die Bundestagswahl gesetzt. Wenig später macht die Union sie zur Wahlfrau für die Bundespräsidentenwahl. Nur ein paar Monate später scheint es, als sei Vogelsang der Sonne zu nahe gekommen: Wie Ikaros steht sie vor einem tiefen Fall. Kreisvorsitz, Bundestagskandidatur, selbst ihr Posten als Gesundheitsstadträtin in Neukölln steht auf der Kippe. Für Dienstag ist eine Sondersitzung des Bezirksparlaments angesetzt. Wichtigster Tagesordnungspunkt: die Abwahl von Stefanie Vogelsang. Abwahlanträge gegen Bezirksstadträte gab es schön öfter. Doch dass sie von der eigenen Parteibasis gestellt werden, ist eine Seltenheit.
Vogelsang leidet unter den Spätauswirkungen der CDU-Krise vom vergangenen Herbst. Im Machtkampf zwischen den damaligen Chefs von Fraktion und Partei, Ingo Schmitt und Friedbert Pflüger, hatte sich Vogelsang auf Pflügers Seite geschlagen. Dass am Ende nicht nur Pflüger, sondern auch Schmitt ohne Posten blieb, konnte sich auf Vogelsang mit auf die Federn schreiben. Ende November kippte sie Schmitt in einer Kampfkandidatur von der CDU-Landesliste für den Bundestag.
Die erste Revanche
Das hat ihr der konservative Flügel der Partei offenbar bis heute nicht verziehen. Als die 43-Jährige Ende Februar erneut als Vorsitzende des CDU-Kreisverbandes kandidierte, fiel sie knapp durch. Neuer Kreischef wurde Michael Büge, ebenfalls Stadtrat, mit dem Vogelsang seit über sieben Jahren im Bezirksamt sitzt.
Das aber war nur der erste Schritt. Kurz nach dem Machtwechsel tauchten Vorwürfe auf, unter Vogelsangs Führung habe die CDU 40.000 Euro Schulden aufgehäuft. Zudem war von Unkorrektheiten bei Buchungen die Rede. Vogelsang weist die Vorwürfe damals wie heute zurück. Ein Sonderparteitag forderte sie schließlich auf, die Direktkandidatur für den Bundestag abzugeben.
Den Höhepunkt aber erreichte die Affäre, als 7 von 17 Mitgliedern der CDU-Fraktion in der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) beantragten, Vogelsang als Stadträtin und stellvertretende Bezirksbürgermeisterin abzuwählen.
Für den neuen Landesvorsitzenden Frank Henkel war spätestens jetzt der Punkt gekommen, vehement einzugreifen. Zu sehr kratzte das, was als Bezirksskandälchen begonnen hatte, am dünnen Lack der vielbeschworenen neuen Geschlossenheit der CDU. Henkel drückte einen Mehr-Punkte-Plan durch: Die Vogelsang-Gegner sollten zurücktreten und den Weg für neue Vorstände in Partei und Fraktion frei machen. Außerdem sollte der Abwahlantrag vom Tisch. Vogelsang hingegen sollte ihre Direktkandidatur für den Bundestag abgeben und sich einen neuen Kreisverband suchen. Ihr aussichtsreicher Platz 3 auf der Landesliste steht nicht zur Debatte.
Kompromiss mit Haken
Unterm Strich würden beide Seiten bekommen, was sie wollen: Der konservative Flügel ist Vogelsang los, wenn sie Ende September in den Bundestag zieht und dann ohnehin ihren Stadtratsposten abgibt. Vogelsang wiederum würde auch ohne Direktmandat ins Parlament einziehen. Zwar verlöre sie ihr Arbeitsfeld Neukölln, wo sie nicht zwölf Jahre Stadträtin gewesen wäre, wenn sie nicht am Bezirk hinge. Und auch ihre politische Basis wäre weg. Doch bis zur nächsten Nominierung blieben Vogelsang ein paar Jahre Zeit, sich anderswo zu etablieren.
Doch Henkels Plan hat einen Makel: Inzwischen sind elf Tage vergangen, ohne dass die Vogelsang-Gegner ihren Abwahlantrag zurückgezogen hätten. „Ich gehe davon aus, dass das noch passiert“, sagte Vogelsang der taz. Aber am Montag stand weiter auf dem Sitzungsplan der Bezirksverordnetenversammlung: außerordentliche Sitzung, Tagesordnungspunkt 2.1: „Abberufung eines Bezirksamtsmitgliedes“. STEFAN ALBERTI