: 100 Antworten
Nach Jahren des Lavierens will das „SZ-Magazin“ nun einen klaren inhaltlichen Kurs einschlagen. Chefredakteur Dominik Wichmann hat dafür das Autoren- und Themenlager kräftig entrümpelt
AUS MÜNCHENJÖRG SCHALLENBERG
100 Fragen? Aber schnell, weil wir haben ja nicht ewig Zeit? Ach nein, auf so ein Spielchen würde sich Dominik Wichmann wohl nicht einlassen. Nicht, dass dem Chefredakteur des Magazins der Süddeutschen Zeitung keine Antworten einfielen, aber es gibt Dinge, präzise gesagt: Formen des Journalismus, die sich schlicht überlebt haben. Findet zumindest Wichmann.
Moritz von Uslar, der 1999 die ziemlich selbstverliebten, aber dennoch genialen 100-Fragen-Interviews erfand, wird nicht mehr für das SZ-Magazin schreiben. Was sich laut Wichmann ganz einfach erklären lässt. Die ungewöhnliche Interviewform entstand eigentlich, weil es meist sehr wenig Zeit gab, um Superstars wie Mick Jagger zu interviewen. Wichmann: „Da war die Idee: Man bricht die Interviewrituale. Aber wenn man die dreißig Mal gebrochen hat, ist es nicht mehr wirklich überraschend.“ Zudem war von Uslar selbst mittlerweile so prominent, dass ihm plötzlich viel mehr Fragezeit eingeräumt wurde, als er eigentlich gebraucht hätte – ein geradezu paradoxes Ende.
Und doch ist der Abgang des Moritz von Uslar von seiner größten Bühne eines der sichtbarsten Zeichen dafür, dass sich das SZ-Magazin nach Jahren des Lavierens für einen neuen, klaren Kurs entscheiden will. Wichmann: „Wir haben die Augenhöhe verändert. Früher hat man beim SZ-Magazin von oben nach unten geschaut, das ist jetzt vorbei. Wir haben das Heft zugänglicher gemacht für breitere Leserschichten.“
Neben von Uslar ist auch Starkoch Eckart Witzigmann als Kolumnist gegangen, Edelfriseur Gerhard Meir gehört zwar weiter zum Personal, wird aber keine gehobenen Warentipps mehr abgeben – denn, so Wichmann, „Produktwelt und Labelfetischismus sind ein Relikt der späten Neunziger“. Und alle Überreste aus jener Zeit, so wirkt es zumindest, sollen nun endgültig beseitigt werden. Für die abgehängten Aushängeschilder sollen, so Wichmann, „zwei Superstars“ kommen. Noch wird aber verhandelt, die Namen bleiben einstweilen geheim. Dass sich mit dem zweiten Chefredakteur Jan Weiler einer der altgedientesten Köpfe des Magazins nun ebenfalls verabschiedet, um sich seiner angeheirateten italienischen Familie und dem Schreiben von Büchern darüber („Maria, ihm schmeckt’s nicht!“) zu widmen, mag Zufall sein, passt aber ins Bild – ebenso wie der soeben erfolgte Umzug der Redaktion in die Nähe des Viktualienmarktes. In den Gängen stapeln sich noch die Umzugskartons, alles scheint auf jenen Umbruch hinzudeuten, der sich gerade vollzieht. Und der vor allem als Resultat jener einschneidenden Veränderungen zu begreifen ist, die im Sommer 2000 begannen.
Damals hatte der radikal elitäre Kurs von Chefredakteur Ulf Poschardt trotz Lob und Preisen für kreative Höhenflüge zur Katastrophe in jeglicher Hinsicht geführt. Als Poschardt gehen musste, standen 12 Millionen Mark Verlust und ein ruinierter Ruf dank 19 gefälschter Interviews des selbst ernannten Borderline-Reporters Tom Kummer zu Buche. Das Verhältnis zum Mutterblatt war eisig. Die neuen Chefs Wichmann und Weiler verpflichteten deshalb als eine der ersten Amtshandlungen sämtliche Autoren, eine Erklärung zu unterzeichnen, nach der sie auf Nachfrage sämtliches Recherchematerial inklusive aller Interview-Tonbänder unverzüglich vorlegen können.
Neben der Rückführung zur konservativen Seriosität haben sich Wichmann, Weiler und Geschäftsführer Rudolf Spindler in den vergangenen Jahren vor allem den Werbekunden zugewandt. Die Häufung von Specials in Sachen Mode, Design oder schlicht Geschenktipps brachte dem SZ-Magazin den Vorwurf ein, zunehmend zum gehobenen redaktionellen Umfeld für lukrative Anzeigen zu verkommen. Andererseits sicherte der neue Kurs das wirtschaftliche Überleben des Magazins, das im vergangenen Jahr nach langer Zeit wieder einen Gewinn von 250.000 Euro verbuchen konnte. Während die Jugendbeilage jetzt und der NRW-Teil den rigorosen Sparmaßnahmen im krisengeschüttelten Süddeutschen Verlag zum Opfer fielen, „haben wir wieder und wieder eine Chance bekommen“, meint Wichmann.
Die Zeit der Krise und des Ausprobierens ist für den Chefredakteur lang beendet. Um die für Wichmann grundlegenden Pole „Ernsthaftigkeit und Ästhetik“ zu verbinden, setzt er auf tief gehende Reportagen und Interviews im vorderen Teil des Heftes, die im Idealfall mit opulenten Bildstrecken weiter hinten kombiniert werden. Die sechzehn Sonderausgaben pro Jahr werden weniger für Lifestyle denn für ungewöhnliche Themenzugänge reserviert werden – jüngst erschienene Ausgaben, die sich ausschließlich mit Wirtschaft befassen oder nur aus Nachrufen bestehen, geben den Kurs vor. Der Nachruf aufs SZ-Magazin, der bereits zigmal anderswo geschrieben wurde, ist dagegen längst wieder in der Schublade verschwunden.