: Gegen Kunst-Missbrauch
Bei Kunst hört für die Berliner Boulevardzeitung „BZ“ der Spaß auf. Am Mittwoch demonstrierten KünstlerInnen gegen die Skandalisierung von Kunst im Namen des „gesunden“ Volksverstands
VON JÖRG SUNDERMEIER
Dergleichen lesen wir oft in der Berliner BZ: „Bewiesen: Affen sind Schweine – Sie lieben Porno-Bilder“. In dem zugehörigen Text liest man: „Auch Affen-Paschas sind nur Männer. Sie sehen sich gern weibliche Popos an und sind sogar bereit, für ‚Porno-Bilder‘ zu zahlen. Das fanden Forscher der Duke-Universität in den USA heraus. Sie stellten Bergrhesusaffen vor die Alternative: Fruchtsaft oder Fotos. Die Tiere hatten die Wahl: Eine große Menge Saft ohne Bilder. Oder eine kleine Menge Saft und dafür die Möglichkeit, Fotos ansehen zu dürfen. Das Ergebnis war menschlich. Männliche Affen rückten viel Saft für Bilder mächtiger Rudelmitglieder heraus – und für Fotos von weiblichen Hinterteilen.“
Eine Geschichte, die mit einem Schmunzeln gelesen werden soll. Bei Fragen der Hochkultur dagegen, insbesondere bei der bildenden Kunst, ist es vorbei mit dem „Menschlichen“, sofern es nicht gerade um Friedrich Christian Flick geht. Vor rund zehn Monaten musste die BZ daher eine Kampagne gegen die Ausstellung „When love turns to poison“ im Kunsthaus Bethanien fahren, denn sie sah die Sitten gefährdet.
In dieser Ausstellung waren es weder heterosexuelle Erwachsene noch andere „menschliche“ Affen, die beim Akt gezeigt wurden, vielmehr ging es um sexuelle Obsessionen, die Künstler wie Françoise Cactus, Frank Gaard, Stu Mead oder Beth Love beschäftigten. Dabei war die Herangehensweise in der Ausstellung durchaus differenziert, Mathias Seidel etwa kritisierte in einer Videoinstallation die Darstellungsweise in Pornos. Zu der Ausstellung äußerten sich viele wohlwollende, doch auch kritische Stimmen, bemängelt wurde, dass der männlich-begehrliche Blick vorherrsche, und auch, dass die Ausstellung etwas zusammengewürfelt erscheine.
Die BZ hielt sich allerdings nicht lang mit Fragen der Ästhetik auf, sondern beschloss, die Ausstellung für einen Skandal zu benutzen. „Und das soll Kunst sein?“, fragte sie empört und setzte nach: „Nackte Pos, durchsichtige Kinderhöschen und ein Mädchen, das mit gespreizten Beinen auf einem Stuhl posiert! Skandal um eine Kinderporno-Ausstellung in Kreuzberg!“ Zugleich nutzte sie die Gelegenheit, um die zuständige Kulturstadträtin Cornelia Reinauer (PDS) zum Rücktritt zu aufzufordern, obschon diese die „Skandal-Ausstellung (angeblich) nicht“ kenne. Zwar verliefen alle angekündigten Klagen im Sand, die Ausstellung musste dennoch kurzzeitig geschlossen werden, da ein stadtbekannter Provokateur in der Ausstellung randalierte, wobei er gegen Abtreibung und Homosexualität wetterte. Auch die NPD erkannte eine Chance und protestierte vor dem Kunsthaus Bethanien gegen die Ausstellung. Laut Wolfgang Müller, der den Protest gegen den Protest organisierte, ist dies folgerichtig, denn bereits die BZ habe dadurch, dass sie auf ihrem Titelblatt das Wort Kunst in Anführungszeichen gesetzt hat, suggeriert, dass es sich bei den Exponaten um Schmutz handele, um etwas, das nicht einmal mehr diskutiert werden dürfe.
Müller hat daher zusammen mit anderen Künstlern beschlossen, den Skandal zu den Verursachern zurückzutragen. Am Mittwoch protestierte er mit Kollegen und Freunden vor der BZ –Anlass war die Vergabe des BZ-Kulturpreises. „Wollita (18) muss den BZ-Kulturpreis 2005 bekommen!“, forderten sie und hatten Wollita auch gleich dabei, laut BZ eine „große, nackte Strickpuppe“, die in der Ausstellung in „sexuell aufreizenden Posen“ gezeigt worden sei – sie saß breitbeinig auf einem Stuhl. Nichtsdestotrotz wurde gerade diese Puppe mehrfach in der BZ abgebildet, ebenso übrigens ungewöhnlich viele andere Exponate der „Kindersex-Ausstellung“.
Dass es zu der kleinen Demo kommen würde, wurde bereits im Vorfeld verbreitet, dementsprechend waren zunächst genauso viele Fotografen und Journalisten wie Demonstranten vor dem BZ-Gebäude. Abseits des roten Teppichs waren Jim Avignon, Müller, weitere KünstlerInnen und Françoise Cactus damit beschäftigt, in lustiger Aufmachung (Unterwäsche über den Jacken) ihrem Unmut Ausdruck zu verleihen, eine eher heitere Versammlung. Selbst ein Fotograf, der sich offensichtlich für den Kulturpreis hübsch hergerichtet hatte, fragte schüchtern, ob er „mitfotografieren“ dürfe. Als sich der kleine Demonstrationszug dem roten Teppich näherte, wurden die Sicherheitsleute nervös und riefen die Polizei. Als diese jedoch Verstöße gegen das Versammlungsrecht ahnden wollte, waren nur noch ein paar Journalisten vor Ort, die ihre Sachen zusammensammelten.
Diese Aktion gegen die Skandalisierung von Kunstwerken, hinter der sich nichts anderes als eine Mischung aus Auflagenkalkül und der Meinung, der „gesunde“ Volksverstand müsse vor dem „Kranken“ geschützt werden, verbirgt, ist nur Teil einer größeren Kampagne. Die Künstler planen weitere Aktionen.