■ Studiengebühren: Weitere Reaktionen : So wird Klassenelite produziert
betr.: „Verderben Gebühren das Studium“, „Pathos der Ungleichheit“ von Wolf-Dieter Narr und Peter Grottian, taz vom 28. 1. 05
Sosehr sich Ralph Bollmanns Analyse mit meiner vor 15 Jahren gemachten Uni-Erfahrung deckt – so wenig sehe ich, wie denn überhaupt „bildungsferne Arbeiterschichten“ an die Uni kommen sollen, ob mit oder ohne Gebühren. Dies zeigt nur, dass alle führenden Parteien sich verweigern, wenn es darum geht, allgemein den Bildungsstand in der Gesellschaft zu erhöhen. Stattdessen kloppt man sich um ein Gebührenmodell, das nun mit der Lösung von Problemen gar nichts zu tun hat. MICHAEL SCHMIDT, Köln
Zurzeit bezahlt der Staat für die Universitäten, also indirekt jeder Steuerzahler anteilig. Die Gesellschaft hat einen Vorteil, wenn viele Menschen studieren. Aber auch jeder Einzelne, der durch ein erfolgreiches Studium seine Chancen auf einen Job erhöht, zieht persönlichen materiellen Nutzen aus seinem Studium. Darum schlage ich folgendes Modell vor:
Der Staat übernimmt grundsätzlich 50 Prozent der Kosten für Universitäten als Akt der Kulturförderung. Er übernimmt außerdem noch mindestens 25 Prozent, weil die Gesellschaft einen materiellen Vorteil von der Bildung der Studenten hat, den Rest bezahlen die Studenten. Die Studiengebühren werden nach dem Abschluss erhoben, und zwar als prozentualen Aufschlag (z.B. 5 bis 10 Prozent) zum zu versteuernden Einkommen, verzinst mit der Inflationsrate. Wer Hausmann oder arbeitslos wird, zahlt nichts. Dieses Modell praktiziert die private gestiftete (!) Elitehochschule Bucerius Law School in Hamburg seit Jahren erfolgreich – sie hält arme Studenten nicht von den Universitäten fern. Damit wird diese Regelung sowohl der Allgemeinheit als auch dem Einzelnen gerecht. ULF BRÜNING, Hamburg
Dank einer sozialdemokratischen Regierung konnte ich als Schulversager und Ausbildungsabbrecher Mitte der 70er-Jahre über den zweiten Bildungsweg, offene (Fach-)Hochschulen und Bafög-Geschenk als Arbeiterkind studieren und stehe heute gut situiert im Beruf und nicht im Hartz-IV-Programm für langzeitarbeitslose 50plus-Menschen. Meine damaligen MitstudentInnen schlagen heute als erfolgreiche Politiker den Nachfolgegenerationen diese Tür – neben anderen – zu. So wird eine Klassenelite bewusst produziert und die Möglichkeiten einer gesellschaftlichen Entwicklung konterkariert. Pfui! WOLFGANG SIEDLER, Langenhagen
Durch Studiengebühren werden Kinder noch mehr zum Armutsrisiko. Ab einem Nettoeinkommen der Eltern von ca. 3.000 Euro müssten wohl Gebühren bezahlt werden. Das würde bei drei studierenden Kindern bei Semestergebühren von 500 Euro ein volles Monatseinkommen nur für Gebühren bedeuten. Nun bliebe dann sicher noch immer ein vielfach größeres Einkommen, als es Empfänger von Alg II bekommen, übrig. Aber der Einkommensempfänger von ca. 3.000 Euro netto mit Kindern (sozusagen unterer Mittelstand) vergleicht sich ja nicht mit Alg-II-Empfängern, sondern mit lustig lebenden Kinderlosen gleichen Einkommens.
Wenn übrigens argumentiert wird, dass man ja auch für den Kindergarten bezahlen muss, warum dann nicht erst recht für die Universität, so ist diese Argumentation geradezu zynisch: Lasst die doch bluten, die so dumm sind, Kinder in die Welt zu setzen! – Ich empfehle auch für Schulen wieder Gebühren zu erheben. Konservativ regierte Länder mit eingefleischten kinderlosen Junggesellen an der Spitze wie Hamburg erheben demnächst für die Vorschule ja schon wieder Schulgeld, und für die Schulbücher sollen die Eltern auch wieder selbst aufkommen. Das planen dieselben Leute, die über die demografische Entwicklung lamentieren und die obendrein jede Zuwanderung restriktiv handhaben. Es ist mit U. Winkelmann überhaupt nicht einzusehen, warum Kindergärten, Schulen und Universitäten nicht voll aus Steuermitteln bezahlt werden. Das Argument, dass der Student ja Darlehen aufnehmen kann, die er später als gut verdienender Akademiker zurückzahlen kann, überzeugt auch wenig: Als gut Verdienender kann und muss er ja wie jeder andere, der gut verdient, durch höhere Steuern zum Allgemeinwohl beitragen.
HERMANN DIERKS, Hamburg
Wolf-Dieter Narr und Peter Grottian fragen: „Wozu soll ein solches Verfassungsgericht gut sein, wenn es das Grundrecht, das alle Grundrechte zusammenhält, wie eine vernachlässigbare Größe behandelt: die Gleichheit der Lebenschancen aller Bürgerinnen und Bürger und ihrer zentralen Lebensbedingungen?“ Gleichheit kann sich nur auf die Gleichbehandlung in konkreten Verfahren beziehen: etwa als Anspruch auf ein faires Gerichtsverfahren. Als durchaus wünschenswerte Startbedingung fürs Leben beginnt genau hier das Problem: Unsere Lebenschancen sind so ungleich verstreut wie die Sterne am Himmel, weil der Zufall sie so verteilt.
Der Grund für diese Tatsache ist jedoch nicht ein Mangel an vernünftiger Planung: Wir haben es hier nicht mit entropischen Verläufen zu tun, sondern mit Evolution. Unter der Bedingung von Wahlfreiheit beider Seiten entsteht im Bereich des Sozialen fortlaufend Ungleichheit. Kein Gott, kein Kaiser, kein Tribun könnte das verhindern. In der Welt, wie ich sie kenne, werden ständig Differenzierungen erzeugt, die die Unterschiede zwischen den Menschen vergrößern, und das liegt daran, dass jede freie Entwicklung beständig Ungleichheiten hervorbringt: je mehr Freiheit im Input, desto weniger Gleichheit als Output. Das heißt nun nicht, dass man fatalistisch oder gar sozialdarwinistisch alles hinzunehmen hätte: Das Wissen, dass der normale Gang der Dinge die Reichen reicher und die Armen ärmer macht, könnte im Gegenteil den Rechtsanspruch auf gemeinsames Teilen erst begründen und (wie etwa im Islam, aber auch im Christentum vor Calvin) zur verbindlichen Norm werden lassen, weil eben nicht bloßer Neid dies fordert, sondern die kluge Vermeidung gewaltsamer Verteilungskonflikte.
Könnte es sein, dass der unerfüllbare Imperativ „Soziale Gerechtigkeit“, der als herzustellende Gleichheit gar nicht erreichbar ist, mittlerweile zu einer an ihrer Paradoxie sich ewig ausdifferenzierenden Religion verkommen ist? BERNHARD BECKER, Duisburg
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