: Als Apfel das Klo besetzte
AUS DRESDEN DANIEL SCHULZ
Wenn Achim Weber zur Toilette muss, hat er einen weiten Weg. Dabei müsste der Mitarbeiter der sächsischen Grünen vor seinem Büro bloß nach rechts gehen, neun Türen, dann nach links und schon ist da die Toilette. Aber die neun Türen auf diesem Weg gehören der NPD. Und damit irgendwie auch das Klo. Deshalb geht Weber lieber nach links und doppelt so weit. „Eigentlich ist mir das gar nicht so bewusst“, sagt der hochgewachsene Mann. „Aber ich will denen nicht begegnen.“
Und er ist nicht der Einzige. Während sich auf den langen, weiß gestrichenen Fluren des sächsischen Landtages vor den anderen Fraktionsräumen ab und an etwas bewegt, ist es vor den Türen der NPD leer. Nicht nur im Plenarsaal verbreiten die Rechtsextremen Unsicherheit. Sie tun es auch in den Wochen zwischen den Sitzungstagen.
Dabei sind die NPD-Abgeordneten um ihren Chef Holger Apfel kaum zu sehen. Sie sind oft im Landtag, sperren sich aber meist in ihre Büros ein. Präsent sind sie trotzdem. „Die sind jeden Tag in der Presse“, seufzt Martin Dulig, der parlamentarische Geschäftsführer der SPD. Dulig hat früher Anti-rechts-Initiativen mit aufgebaut, heute bespricht er mit den Geschäftsführern der anderen Parteien, wie die nächsten Landtagssitzungen ablaufen sollen. Auch mit dem Vertreter der NPD. Sein Büro liegt in der zweiten Etage des Landtages, dort wo alle kleinen Fraktionen sitzen – die Grünen ebenso wie die FDP und eben auch die NPD. Die Büros sehen so aus wie die Flure, weiße Wände, graue Teppiche. Auf Duligs Schreibtisch liegt eine Mappe, in der die Zeitungsmeldungen des Tages gesammelt werden. Pressespiegel Sächsischer Landtag steht darauf, 11 von 23 Seiten gehören der NPD. „Wir wären froh, wenn wir jeden zweiten Tag drin wären“, sagt Dulig. Er zuckt mit den Schultern, hebt die Hände. Es ist sinnlos, soll das heißen, die werden uns weiter in der Zeitung verfolgen. Aber sie sind eben nicht nur weit weg in der Zeitung. Sie lauern in der Nähe, genau da, wo die Abgeordneten sie gern für einen Augenblick vergessen möchten. Auf der Toilette. Beim Essen.
Apfel beim Salat
Dulig muss nur vor die Tür gehen und nach unten sehen. Die fünf Etagen des Landtags umschlingen einen Schacht, auf dessen Boden drei Reihen roter Tische stehen – die Landtagskantine. In dunkle Anzüge eingepackt sind dort die beiden fleischigen Körper von Uwe Leichsenring und Holger Apfel zu sehen. Sie ruhen wie zwei Berge, während sie reden. Später gehen sie und es kommt der schmale „Bomben-Holocaust“-Erfinder Jürgen Gansel und spricht lebhaft auf den strengen, halb kahlen Kopf von Fraktionsgeschäftsführer Peter Marx ein, der ab und an nickt. Mittags sammelt sich die NPD – immer an einem Tisch. Nicht mehr so wie in den ersten Tagen, als sie dort gemeinsam saßen, als wären ihre Körper, ihre Schultern die Mauern einer Burg, über die sie grimmig nach draußen blickten. Inzwischen sind sie hier zu Hause, das wollen sie zeigen. Sie sitzen zu zweit oder zu dritt an einem Tisch, wenn sie mit dem Essen fertig sind, kommen die Nächsten. Sie lachen und schwingen beim Gehen locker in der Hüfte. Sie geben sich mehr als höflich. Wenn Frauen aus den anderen Fraktionen sich an ihnen vorbeidrängeln, machen sie Platz und ihr Ton wird väterlich: „Lasst doch die junge Frau hier durch“, sagen sie und lachen.
Währenddessen holt sich Holger Apfel wie immer einen Salat und witzelt noch ein bisschen mit den Frauen hinter der Essenstheke. Ja, mit den „einfachen Arbeitern hier“ verstehe er sich gut, sagt Apfel, es gebe nur Probleme mit den „Ausgrenzungsmechanismen der so genannten Demokraten“.
Höflichkeit ist Pflicht
Die „einfachen Arbeiter“ müssen sich mit der NPD vertragen. Die Abgeordneten aller Parteien sollen höflich behandelt werden, hat die Parlamentsverwaltung angeordnet. Oft wäre der Appell unnötig. Ein Mitarbeiter im Blaumann, der vor dem NPD-Büro große Kartons abstellt, meint, die NPDler seien eigentlich nett. Abgeordnete haben Sicherheitsbeamte beim Rauchen mit NPD-Gästen gesehen. Auch der Mann, der das stählerne Drehkreuz am Eingang überwacht, sagt, „dass die NPD-Leute sehr höflich sind“. Solche Dinge erzählen sich die Abgeordneten der anderen Fraktionen und sagen, dass sie es nicht verstehen. Und ihr Unverständnis verstärkt die Unsicherheit.
Auch dass Holger Apfels Fraktion viel unbekannten Besuch empfängt, schürt Misstrauen. Gerüchte machen die Runde, Unterlagen sollen aus Büros der PDS verschwunden sein. Viele Abgeordnete und ihre Mitarbeiter tun sich schwer, mit dieser Situation umzugehen. Manche grüßen NPDler nicht, andere nur wenn sie gegrüßt werden. Ein PDS-Mitarbeiter aus Dresdens linker Szene verweigert NPDlern, zu ihm in den Aufzug zu steigen: „Ich fahre nicht mit Nazis.“
Holger Zastrow findet so etwas albern. Der FDP-Fraktionschef, der wie Martin Dulig mit der NPD auf einer Etage sitzt, sagt, man müsse souverän mit den Rechtsextremen umgehen: „Ich rede schon mit denen“, sagt der Mann, der die Schultern und Hände eines Möbelpackers hat, aber Chef einer Marketingfirma ist. „Und einen Stift habe ich mir von denen auch mal geborgt.“ Seine tiefe Stimme fließt ruhig in den Raum. Zastrow hält nichts davon, „verkrampft Abstand zu halten“. Das helfe der NPD nur.
Weil Zastrow in Sitzungen des Landtagspräsidiums mit dem NPD-Mann Leichsenring mitunter scherzt, ist seine Fraktion unter Verdacht geraten. Denn seit der NPD-Kandidat bei der Ministerpräsidentenwahl im Herbst zwei Stimmen mehr bekam, als ihre Fraktion Mitglieder hat, wird im Haus gerätselt, woher die stille Unterstützung kommt. Zumal sie vor zwei Wochen, als es um die Besetzung des Jugendhilfeausschusses ging, gleich fünf zusätzliche Stimmen bekam. Nun heißt es besonders bei Grünen und SPD, die zusätzlichen Stimmen für die NPD kämen aus Zastrows FDP-Fraktion. Aufregen kann Zastrow das nicht. Ruhig schaut er durch seine kleine, eckige Brille und sagt: „Es gibt keinen Austausch im eigentlichen Sinne mit der NPD.“ Verdächtigt würden viele. Er hat Recht. Der ganze Landtag tuschelt, wer wohl die Schuldigen sind. Gebracht hat das noch mehr Misstrauen.
Es wabert überall im Haus, und auch das ist neu. Die Parteien können einander nicht mehr ausweichen. Vor der letzten Wahl gab es nur drei Parteien im Landtag – CDU, PDS und SPD. Jede Fraktion hatte eine Etage, man konnte sich aus dem Weg gehen. Die CDU hatte die absolute Mehrheit, die anderen fanden sich irgendwann damit ab. Die Rollen war verteilt: Die CDU reagierte, die PDS opponierte und die SPD degenerierte. Dieses Idyll hat die NPD zerstört.
Die PDS-Fraktion hat die Nationaldemokraten ständig im Nacken. Wenn die Sozialisten im Fraktionssaal 400 über die Bevölkerungsentwicklung in Sachsen beraten, können ihnen die Nationalen über die Schulter gucken. Denn die Beratungsräume bestehen aus nicht viel mehr als Glas, und gegenüber dem PDS-Saal liegt ein paar Meter höher auf der nächsten Etage der Sitzungsraum 500, ein ebensolcher Glaskasten, in dem Holger Apfel und seine Parteifreunde sitzen. Wenn die Sozialisten Pause machen und mit ihren Handys telefonieren, dann laufen sie ein paar Meter weit weg. Würden sie direkt vor dem eigenen Saal telefonieren, könnten die Rechtsextremen mithören. „Richtig scheiße“, flucht eine PDS-Frau.
Am härtesten muss es aber für die CDU sein. Sie musste sich an so vieles gewöhnen. Nicht nur an die NPD, sondern daran, dass es mit Grünen und FDP zusammen nun drei neue Parteien im Landtag gibt. Obendrein muss sie auch noch mit der SPD regieren. Neu ist auch, dass die PDS nicht mehr die Hauptfeindin sein soll.
Ein stolzer Christdemokrat
Lars Rohwer ist blass und hat rote Flecken im Gesicht, wenn er über seine Rede spricht. Eine Rede, die der CDU-Abgeordnete vor dem Landtag gehalten hat, als es um ein Landesprogramm für Anti-rechts-Initiativen ging. Rohwer forderte, es müsse auch gegen die Linksextremisten vorgegangen werden. Die PDS solle sich von ihrer radikalen Antifa-Klientel verabschieden. Er beendete seine Rede mit dem Satz, es müsse wieder möglich sein, „Ich bin stolz ein Deutscher zu sein“ zu sagen. „Wir dürfen ihnen das Feld nicht überlassen“, sagt er. Rohwer sitzt nicht in seinem eigenen Büro, sondern in der Pressestelle seiner Fraktion,während er das sagt, der Pressesprecher sitzt neben ihm und nickt. Der 33 Jahre alte CDU-Abgeordnete soll nicht allein mit der Presse sprechen in diesen Tagen, wo die CDU unter dem Generalverdacht steht, NPD-Maulwürfe in ihren Reihen zu haben. Rohwer gibt zu, dass die CDU „Fehler bei diesem Thema gemacht hat“. Inzwischen tun das auch andere CDUler. Aber es ist nach all den Jahren der Gewissheit schwer, in Unsicherheit zu leben. Deshalb sucht nicht nur Rohwer oft noch den alten Gegner – die Sozialisten.
Andererseits eröffnet die Nähe „auch durchaus interessante Einblicke“, wie Grünen-Chefin Antje Hermenau sagt. Apfel und seine Kader provozierten zwar gern und erfolgreich, aber die erwarteten Wunder seien bislang ausgeblieben. Gerade bei den ihnen angeblich so wichtigen Themen haben sie bisher nicht viel zu Wege gebracht. Als es im Januar im Parlament um die Investitionspauschale für die Kommunen ging, stellte die NPD keinen Redner, obwohl es dabei um viel Geld für die Gemeinden geht. Im Petitionsausschuss, wo man den Wünschen des Volkes am nächsten ist, wollte die einzige NPD-Abgeordnete Gitta Schüßler über Verfahrensfragen „erst einmal mit meinen Jungs sprechen“.
Auch innerhalb der NPD soll es nicht mehr ganz so gut laufen. Abgeordnete, die anders als Apfel und Gansel aus Sachsen kommen, sollen genervt vom Konfrontationskurs der Wessis sein. Das merke man einfach, wenn man mit denen im Parlament sitze, sagt Martin Dulig, die Ostler aus der zweiten Reihe würden gerne mehr gemocht werden. „Es gibt Spannungen zwischen denen, die hier bleiben, und denen, die in den Bundestag wollen“, sagt Antje Hermenau. „Da tun sich erste Haarrisse auf.“