CONDOLEEZZA RICE’ BESUCH: ROT-GRÜN MUSS ZU SEINER HALTUNG STEHEN
: Schröder braucht Courage

Wer verzeiht wem? Wer hat welche Lehren gezogen? Wenn sich ein Ehepaar versöhnt, dann entscheidet diese Frage oft über Silberhochzeit oder Scheidung. Für internationale Beziehungen gilt das – im übertragenen Sinne – manchmal gleichermaßen. Die Folgerungen, die sich daraus ergeben, hängen vom Standpunkt des Betrachters ab.

Derzeit gibt es mindestens vier Lesarten für den Stand der Dinge zwischen den USA und Deutschland. Die eine: US-Präsident Bush will sich künftig mehr um das alte Europa bemühen. Er hat begriffen, dass nicht einmal eine Weltmacht ohne Verbündete erfolgreich sein kann. Glückwunsch an Gerhard Schröder! Weiter so. Oder aber: Der Kanzler sollte froh und dankbar sein, dass er trotz seines unbotmäßigen Verhaltens im Irakkrieg eine zweite Chance bekommt. Und künftig vorsichtiger agieren.

Variante drei: Bush legt im Blick auf Europa nur Lippenbekenntnisse ab und wird tun, wonach immer ihm der Sinn steht. Zum Beispiel den Iran angreifen. Die rot-grüne Koalition sollte die Fehler, die sie während des Irakkriegs gemacht hat, keinesfalls wiederholen, da ein gutes Verhältnis zu den USA im deutschen Interesse liegt. Oder eben: Sie sollte gerade deshalb bei ihrer Haltung bleiben.

Derzeit sendet Washington zahlreiche Signale, die sich als Wunsch nach Verständigung interpretieren lassen. Die Begegnung zwischen US-Präsident Bush und dem deutschen Innenminister Otto Schily, die Stippvisite der neuen Außenministerin Condoleezza Rice oder auch der bevorstehende Besuch ihres Chefs in Deutschland. Vielleicht rauft man sich zusammen. Vielleicht auch nicht.

Der Kanzler hat einen Amtseid geleistet, dem zufolge er seine Kraft dem Wohle des Volkes widmen und das Grundgesetz wahren will. Die Akzeptanz von Angriffskriegen widerspricht beidem. Diese Erkenntnis ist durchaus eine brauchbare Grundlage für deutsche Außenpolitik. Ganz egal, wer wen wann wo und wie lange empfängt. Und unabhängig davon, ob es um den Irak, den Iran oder Nordkorea geht. Eine solche Haltung erfordert allerdings Courage. Nicht nur gegenüber Washington, sondern auch gegenüber der Opposition im eigenen Land. BETTINA GAUS